Novembergarten mit allen Sinnen (5/5): Die kalte Luft riecht nach Fallobst

Novembergarten mit allen Sinnen (1/5): Sonniger November

Novembergarten mit allen Sinnen (2/5): Von Räh-räh-räh bis Tschiep-tschiep – Geräusche im Novembergarten

Novembergarten mit allen Sinnen (3/5): So schmeckt der November

Novembergarten mit allen Sinnen (4/5): Fühlen – Tasten – Spüren

Die kalte Luft riecht nach Moder. Nach Apfelmoder. Ein Teil des Fallobstes verschwindet im hohen Gras. Dort liegt es als Futter für nächtliche Tierbesuche. Vielleicht auch für Amseln. Einige der Äpfel zeigen die Spuren von scharfen, spitzen Zähnen. Ob es ähnlich der Spezialisten für Fußabdrücke von Tieren auch Fachleute für tierische Bisswunden gibt? Die könnten mir sagen, wer sich von meinem Fallobst ernährt.

Nach einer Woche dumpf-dunklem Novembernebel, sitze ich in der sonnigen Kälte, schreibe, trinke heißen Holunder. Über mir im blitzeblauen Himmel ein vielleicht allerletzter Kranichschwarm, der nach Süden zieht. Werde ich genug riechen können, bis ich so durchgefroren bin, dass ich den Stift nicht mehr halten kann und so sehr krakele, dass ich es später selbst nicht mehr lesen kann? Morgen soll es frieren und nächste Woche regnen. Das Draußensein wendet sich von der Lust zur Plage.

Über den Geruch des Spätherbstes will ich schreiben. Immer wieder schweife ich ab. Zum Tee, zur Sonne, selbst der Füller ist meinen Gedanken eine Zeile wert. Er schreibt nämlich überraschend gut, während ich mich mit zwei anderen Exemplaren herumärgere und vermute, dass die Farbe der Tinte den Unterschied machen könnte. Alle ärgerlichen Füller haben schwarze Tinte.

Gartengerüche. Moderndes Fallobst, ja ganz eindeutig. Aber danach wird es dünn mit Gartendüften im Spätherbst. Duftet der Lavendel eigentlich noch? Ich muss ihm schon auf die Pelle rücken. Es gibt nur sehr wenige Blüten, aber der Duft steckt auch im dürren Laub. Thymian hat seinen würzigen Geruch das ganze Jahr über. Sobald ich mit der Hand über die struppigen Borsten des Thymians fahre, dufte ich langanhaltend nach Wildgulasch.

Die Sonne versteckt sich hinter dem Giebel des Nachbarhauses. Auf dem Balkon wird es noch ein paar Strahlen geben, aber hier auf der Terrasse ist es jetzt schnell unwirtlich. Ist es gut, sich zu eilen? Oder vergälle ich mir mit der selbstgemachten Hetze die letzte helle Stunde?

Immer fällt etwas hinten herunter. Irgendetwas ist immer zu viel. Nein, halt! Nicht das Irgendetwas ist zu viel, aber das, was die Zeit frisst und die Dinge hinten herunter fallen lässt, das ist es, was zu viel ist. Das muss anders werden. Endlich!


Wieder drinnen, im schützenden Haus, lese ich die Texte von allerlei Herbstlaub-Poeten im Internet. Sie schreiben von der Lebendigkeit, die sie wahrnehmen. Den herrlichen Düften des kühlenden Regens. Von den muffigmodrigen, bitterscharfen und zuckersüßen Nuancen der fliegenden Geschmacks-Teppiche aus Aromen.

Lieblichblumige Worte kann ich auch über das Papier verteilen. Aber hat das auch irgendjemand gespürt und gerochen und gefühlt? Oder ist das nur ein Werbetexter, der im Herbstlaub liegt?

Der November ist sicher nicht der ideale Monat, um die Vielfalt des Gartens mit allen Sinnen zu beschreiben. Wobei die Herausforderung eher auf der Seite des Beobachters liegt: Wie sehr kann ich Dunkelheit, Kälte oder Nieselregen widerstehen? Die Natur hat dagegen noch immer viel zu bieten – auch wenn es leisere Töne sind als im blütenbunten Frühling.


Jeder Zeitpunkt und jeder Sinn birgt eine andere Beziehung zur Natur. Das ist es, was Nan Shepherd in „Der lebendige Berg“ getan hat. Immer wieder die gleiche Region besuchen und immer wieder mit allen Sinnen beobachten. Auch deshalb liest sich ihr Buch nach vielen Jahren noch so, als sei es gerade erschienen. Es ist keine Beschreibung eines konkreten Ausflugs, sondern die Summe der Empfindungen vieler Jahre. Eine Summe von Empfindungen, die sich auch im eigenen Garten sammeln lässt.

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