Novembergarten mit allen Sinnen (4/5): Fühlen – Tasten – Spüren

Novembergarten mit allen Sinnen (1/5): Sonniger November

Novembergarten mit allen Sinnen (2/5): Von Räh-räh-räh bis Tschiep-tschiep – Geräusche im Novembergarten

Novembergarten mit allen Sinnen (3/5): So schmeckt der November

Ich sitze in den letzten Sonnenstrahlen auf der Terrasse. Je nach Jahreszeit kommt eine andere Ecke des Gartens in den Genuss der letzten Sonnenstrahlen. Im Herbst ist es die Terrasse. Doch hier kann ich lange darauf warten, den November zu ertasten. Wenn ich vom November mehr als die Kälte fühlen möchte, muss ich meinen Platz in den letzten Sonnenstrahlen verlassen.

Ich mag „meinen“ Holunder. Vor einigen Jahren entdeckte ich zwischen den Johannisbeerbüschen und der Eibenhecke einen wilden Holundersämling. Direkt in der Hecke, wachsen viele Holundertriebe. Bis sie aber oben, in zwei Meter Höhe, aus der Hecke herausfinden wachsen sie oft in allerlei Windungen und sind zu gakelig, um eine Krone aus Blättern und Früchten zu tragen. Dieser eine wuchs vor der Hecke und ich konnte ihn Jahr für Jahr in die Höhe leiten. Inzwischen ist er zu einem kräftigen und runzeligem Stamm geworden.

Was würde mir wohl ein Blinder über meinen Garten sagen?
Ich stelle mir vor, wie er vielleicht in einer ersten Runde mit dem Blindenstock herausfindet, wo Wege und Beete oder auch freie Flächen sind. Dann in einem zweiten Durchgang ertastet er dann die kleineren Strukturen. Ist das Hindernis eine niedrige Mauer oder die auf der Wiese vergessene Gartenbank? Und dieser dicke Stock vor der Hecke? Die Rinde ist so grob, wie bei einer alten Weide, aber dafür ist der Stamm noch zu dünn. Das ist mein Holunder. So stelle ich mir vor, dass ein Blinder durch den Garten ginge. Eine Vorstellung, die sicherlich sehr laienhaft ist.

Mein Garten ist vorrangig an den Sinnen ausgerichtet, zu denen ich einen leichten Zugang habe. Ich sehe die Blütenvielfalt des Staudenbeetes. Ich rieche den Sommerduft von Holunder und Mädesüß. Ich schmecke den Gelee aus den eigenen Johannisbeeren. Ich genieße es, ausschreiten zu können. Mich nicht durch Büsche, Beete und Rabatten hindurchzwängen zu müssen.

Ich bin froh, mir den eigenen Garten nicht ertasten zu müssen. Bestenfalls streiche ich im Vorbeigehen über den struppigen Thymian – und freue mich über den würzigen Duft, der mich den Rest des Weges und bis an den Schreibtisch begleitet. Schlimmstenfalls erschrecke ich über eine Tomate, die frisch und rot aussieht, aber nass und kalt ist, wenn ich sie abpflücken möchte. Zwischen den Fingern quillt roter Matsch hervor. Die Zeit der Tomaten ist im November unwiderruflich vorbei.


Ich bin überrascht, wie sehr sich mit dem Schreiben mein Blick auf den Garten verändert. Von Anfang an notiere ich alles, was ich an dem jeweiligen Tag wahrnehme. Es ist wohl die Sorge, dass es je länger der November ist, umso weniger Eindrücke gibt. Dass ich mich eilen muss, möglichst viele Eindrücke zu sammeln, bevor die Winterdunkelheit den Garten verhüllt. Eine gänzlich unbegründete Sorge.

Wenn ich die Notizen auf dem Schreibtisch versammle, werden die Eindrücke ganz anderes, als ich am ersten Schreibtag dachte. Es sind an jedem Tag genug Eindrücke vorhanden. Ich muss mich nicht eilen. Die Dinge entwickeln sich. Es ist eine Kontaktaufnahme, eine Resonanz mit der Natur um mich herum. Sie tauscht sich mit mir aus. Es ist kein aktives Rufen der Cosmea „Hey, schreib mal, dass mir an der kleinen Mauer zu windig ist“. Und doch entstehen durch alle diese Eindrücke eine Stimmung und neue Gedanken in meinem Kopf. Vielleicht sagt die Cosmea tatsächlich etwas. Wahrscheinlich etwas völlig anderes als ich erwarte. Ich bin gespannt, wie viele Jahre es noch dauert, bis ich sie verstehe.

Es ist mir unbegreiflich, dass die Natur lange nur als Nutzen für den Menschen gesehen wurde. Vielfach wohl immer noch so gesehen wird. Oder schlimmer, als Hindernis auf dem Weg zu noch größerem Umsatz. Doch selbst wenn ich der Meinung wäre, die Welt um mich herum, diene nur meiner Ernährung oder der Versorgung mit Bau- und Heizmaterial, selbst dann würde ich doch darauf achten, dass dieses Material-Lager so gut in Schuss ist wie möglich. Würde ich nicht?

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