Automotoren drängen als erstes ins Ohr. Ein brummendes Geräusch, tönt angestrengt bergan, dann abrupt in doppelter Lautstärke, hell und rasselnd, wenn der Belag der Straße zu Kopfsteinpflaster wechselt.
Dazwischen, in den Autopausen, die es zum Glück reichlich gibt, ein klopfendes Geräusch. Nichts mechanisches. Einen Specht stelle ich mir so vor. Aber es ist die Vorstellung eines biologischen Laien, der Spechte und deren Klang höchstens aus den Reportagen von National Geographic kennt.
Nach einer Weile wird mir auch das helle Zwitschern von verschiedenen Vögeln bewusst. Aus unterschiedlichen Richtungen. Tschiep-tschiep. Aber nur einen einzigen der Vögel kann ich auch mit den Augen finden.
Wenn ich aufschreibe, was es um mich herum zu sehen gibt, kann ich Seite um Seite füllen und kaum setze ich den Stift ab, springt mich ein neuer Eindruck an. Nun höre ich, was ich trotzdem alles nicht sehe. Es ist ungewohnt, so zu sitzen und auf einen Ausschlag des Trommelfells zu warten, während die sichtbaren Eindrücke Purzelbäume schlagen, um sich ins Bewusstsein zu drängen. Pause. Ruhe. Sitzenbleiben. Räh-räh-räh. Eine Krähe überfliegt den Garten. Ein paar Blätter fallen mit sachtem, für mich unhörbarem Klang. Gibt es wirklich nur Autos und Vögel zu hören? Selbst wenn ich mittlerweile die vierte eindeutig unterschiedliche Stimme identifiziere?

Hey, wer sagt eigentlich, dass ich nicht mitmachen darf bei den Geräuschen? Wenn es niemanden gibt, der hörbar das Laub aufwirbelt, keinen Wind, keine Spaziergänger, dann mache ich es eben selbst.
Das Laub ist feucht und schwer. Der Regen von gestern klebt noch zwischen den Blättern. Das Rascheln klingt viel dumpfer als das typische „Durch das Herbstlaub stapfen“. Vom Sammeln und Trocknen der Gartenkräuter kenne ich das Wort rascheltrocken. So trocken dass es raschelt. Dann ist rascheln das falsche Wort, so lange das Laub noch feucht ist. Die Ohren hören nicht nur Dinge, die die Augen nicht sehen, sie erfinden auch neue Wörter. Zum Beispiel für den Klang von regnerischen Laub: Ruschh Ein kurzes u, aber das sch klingt nach, als hätte es ein zweites h am Ende.

Weiter geht es auf der Geräuschexpedition im eigenen Garten. Es ist erstaunlich schwierig sich alleine vom Gehör durch den Garten leiten zu lassen. Zu weniges klingt von alleine. Ich erinnere mich an den quitschenden Klang der Wirsingblätter. Nach dem Raupenbefall und dem darauffolgenden Kahlschlag, treibt der Wirsing mit frischen Blättern wieder aus. Eher wie ein störrische Pflücksalat und nicht wie ein üblicher Wirsingkopf. Die frischen Blätter sind genauso quietschig, wie ich es kenne und mag. Nicht das schrille Quietschen von Styropor. Viel sanfter.
Plötzlich ein flappendes Flattern. Ein Stück Stoff das im Wind schlägt. Oder ein Flattern auf der Stelle. Es braucht eine Weile, bis ich das Geräusch finde. Auf dem Flachdach der Nachbargarage wäscht sich eine Amsel in der Regenpfütze. Auch hier fehlt ein wirklich passendes Wort, um das schnelle flappen der Flügel gegen Körper und in die Wasserpütze zu beschreiben.
Es beginnt zu regnen. Ein regelmäßiges Fallen der Tropfen. Nein, nicht das Fallen, sondern das Plopp, wenn die Tropfen auf der Erde aufschlagen, ist es was ich höre. Nur ein leichter Regen. Keine rauschenden Regenfahnen im Wind. Es dauert, bis die Fallrohre der Regenrinnen beginnen zu gurgeln.

Nachtrag:
Zwei Tage nach meinen Notizen fliegt eine weitere Gruppe Kraniche über den Garten. Ihre Rufe sind so kraftvoll und frei und sehnsüchtig. Jedes Mal, wenn ich sie höre, will ich mitfliegen. Allein weil die Rufe so sehr locken sich den Kranichen anzuschließen.
Und, es war tatsächlich ein Specht. Er ist sehr scheu. Sobald ich mich bewege, fliegt er davon. Selbst wenn ich noch zehn Meter von ihm entfernt bin.
Schönen Abend.
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