
Schon immer faszinieren mich Bücher, denen es mit den ersten Sätzen gelingt, eine Stimmung so sehr lebendig werden zu lassen, dass ich nicht nur die Worte lese, sondern selbst mitten in der geschilderten Szene bin. Solch ein Buch ist Ilga Egers „Ein Jahr im Garten“. Wer nach den ersten Seiten nicht einfach Sehnsucht danach hat, Ilgas Oma und deren Garten kennenzulernen, dem ist nicht mehr zu helfen.
Das Buch beginnt mit vielen stimmungsvollen Naturfotos, den Großeltern und dem Blick auf den Jahreslauf. Das alles gibt dem Buch von Anfang an etwas Gelassenes und Erdiges. Erst auf Seite 39 geht es zum ersten Mal konkret um ein Gartenthema: Das Gemüsebeet. Aber auch dort gibt es keine Pflanzanleitung mit Reihenabstand, Sortenauswahl und Mindesttemperaturen. Es geht um den großen Bogen des Jahreskreises und um den Menschen der mitten in einer Welt aus Sonne, Wetter und Erde sitzt und dabei Teil des Werdens und Vergehens der Natur ist.
Es ist eindeutig kein klassischer Gartenratgeber mit monatlichen ToDo-Listen. Gleichzeitig enthält alles Schreiben über einen Garten ganz zwangsläufig auch praktische Beispiele, die der Leser für den eigenen Garten verwenden kann. Ich werde zum Beispiel Kapuzinerkresse zu den Tomaten setzen. Die Pflanzen vertragen sich gut und die Kapuzinerkresse ist zudem ein lebendiger Mulch.
Aussäen, Vereinzeln, das Gemüsebeet vorbereiten. Und weiter im Jahreslauf mit Mischkultur und Fruchtfolge. Doch im Gegensatz zu konkreten Pflanzanleitungen geht es um das Wesen der Dinge. Beides ist wichtig und bietet jeweils seine eigene Perspektive. Mit Pflanzlisten und monatlichen Aufgaben fokussiere ich mich auf das einzelne Gemüse, damit die Teller für das Mittagessen gefüllt werden. Mit Ilga Eger komme ich wieder in Kontakt mit den Kreisläufen der Natur um mich herum. Ob ich die passende Wirsingsorte gewählt habe oder wann die Rote Beete gesät wird, dafür greife ich gerne zu den Monatslisten.
Immer wieder kommt sie auf die Techniken und das Wissen ihrer Großmutter zurück. Damit, und mit vielen anderen Themen von Ringelblume bis Komposthaufen, leitet sie fast unbemerkt durch das Gartenjahr. In den wenigen Zeilen zur Pflege der verschiedenen Beeren, bringt sie mehr Wissen und Querverweise unter als ein klassischer Ratgeber in einem ganzen Buch.
Bei dem gedanklichen Rundgang durch den Garten der Großmutter fehlt auch das Thema Saatgut nicht. Alles so kurz und knapp und doch umfassend und vollständig. Was brauche ich Beschreibungen zu 20 verschiedenen Tomatensorten, wenn im Grunde genommen die Aufteilung in Tomate / Kartoffel / Gurke ausreicht? Ilga Egers Blick auf das Wesentliche macht die Dinge verständlich. Viel mehr als die oft verwirrenden Auflistungen von noch so kleinen Unterschieden und jeder nur irgendmöglichen Ausnahme. Ganz unaufgeregt, ganz ohne bevormundendes „Das sollten Sie im Juni Aussäen!“ begleitet Ilga Eger durch das Gartenjahr.
