Der Frühling hat noch nicht recht begonnen, da sind die ersten Blüten schon wieder vorbei. Und das betrifft nicht nur die richtig frühen Blüten, die eher zum Spätwinter gehören, wie Winterlinge und Schneeglöckchen. Seit knapp drei Wochen sehe ich immer wieder kleine Gruppen von gelben Blüten, die auf den ersten Blick aussehen wie Löwenzahn. Meist sehe ich sie nur vom Auto aus. Ich habe sie nicht im eigenen Garten und kenne sie auch nicht als Gartenpflanze. Die Rede ist vom Huflattich. Auf den ersten Blick sehen Huflattich (Tussilago farfara) und Löwenzahn (Taraxacum) zwar beide leuchtend gelb aus, aber von Ähnlichkeit oder Verwechslung kann keine Rede sein. Die Blüten des Huflattichs wachsen auf geschuppten Stängeln und leuchten bereits, bevor die Pflanze Blätter hat. Löwenzahn hat immer Blätter und Blüten gleichzeitig und glatte, hohle Stängel. Beide gehören zwar zur gleichen botanischen Familie der Korbblütler. Diese Familie enthält allerdings 24000 Arten. Besonders nahe verwandt sind sie also nicht.
Huflattich ist nicht nur ein früher Blüher – das alleine wäre schon bemerkenswert genug – er ist auch ein Hustenkraut. Die Wirksamkeit ist so gut belegt, dass sie von der staatlichen Kommission E anerkannt wurde. Die Wirkung beruht auf sogenannten Schleimstoffen, die in den Blättern enthalten sind. Auch der lateinische Name des Huflattichs, Tussilago, weist bereits auf die Heilkraft der Pflanze hin. „Tussis“ ( = Husten) und „ago“ ( = ich vertreibe). Ein Aufguss aus Huflattichblättern hilft gegen trockenen Reizhusten.
Das Sammeln und Anwenden von Heilkräutern braucht langjährige Erfahrung. Da reicht kein aufgeschnapptes „Huflattich hilft gegen Husten“. Man muss wissen, wo man ihn findet und wie er angewendet wird. Huflattichblätter gibt es überhaupt erst nach der Blüte. Ich habe die Huflattich-Blüte in diesem Jahr fast verpasst. Aber ohne die Blüten als Wegweiser hätte ich den Huflattich nicht gefunden. Und dann ist da noch die Anwendung. Was ist nun ein trockener Reizhusten und was ist ein produktiver Husten? So teilt die Medizin die verschiedenen Hustenformen ein. Im Garten eine Pflanze sehen, die Heilkräfte hat, reicht nicht aus, um diese auch sicher anwenden zu können. Immer nur solche Heilpflanzen verwenden, die man wirklich gut kennt und aus eigener Erfahrung einschätzen kann! Der schnelle Tipp aus dem Internet à la „Hustenfrei mit Naturmedizin“ kann ebenso schnell zu ernsthaften Risiken führen. Dies gilt insbesondere für den Huflattich, da er eine Substanz namens Pyrrolizidinalkaloide enthält.
Ich bin einerseits begeistert, dass ich endlich bei mir in der Nähe Huflattich entdeckt habe. Und gleichzeitig ernüchtert, weil diese Heilpflanze mehr Risiken als Nutzen für mich hat. Ich werde keinen Huflattich als Hustenmedizin sammeln.
Stichwort Pyrrolizidinalkaloide (PA)
Mit Pyrrolizidinalkaloide bezeichnet die Chemie eine Gruppe von Alkaloiden, die eine bestimmte Struktur haben. Diese Struktur basiert auf der Substanz Pyrrolizidin. Klar? Hm, wahrscheinlich eher „nicht klar“. Also noch einmal: Chemie ist oft wie das Bauen mit Lego-Steinen. Wenn etwas aus fünf Achter-Bausteinen und zwei Vierer-Bausteinen besteht, dann sagt der Chemiker dazu einfach Achter5Vierer2. Oder eben wenn etwas ein A(lkaloid) ist, das die Struktur von P(yrrolizidin) hat, dann ist das ein PA (Pyrrolizidin-Alkaloid).
Das, was nach übelsten Machenschaften irgendeiner bösen Industrie klingt, ist ein völlig natürlicher Bestandteil des Huflattichs. Dem Huflattich schadet es nicht. Im Gegenteil er hat vermutlich einen Nutzen davon diese Substanz herzustellen. Auf diese Weise lassen sich viele richtig giftige, schrecklich chemisch klingende Namen aufführen, die natürliche Substanzen sind: Aconitin, C34H47NO11 (Blauer Eisenhut), Digoxin, C41H64O14 (Fingerhut), Taxin, C33H45NO8, (Eibe). Die Formel „natürlich = gesund“ führt genauso in die Irre wie die Feststellung „Chemie = giftig“. Letztlich ist jede Pflanze nichts anderes als ein Chemielabor und wir Menschen leben davon, dass Tomaten antioxidantes Lycopin herstellen oder Aroniabeeren sich um die Produktion von entzündungshemmenden Anthocyanen kümmern.
Das Tückische an diesen PAs ist nicht, dass sie chemisch sind und einen komplizierten Namen haben, sondern, dass sie in der Leber zu giftigen Substanzen umgebaut werden. Für den Huflattich ist es also nur eine Kombination von bestimmten Legosteinen, die sich schwer aussprechen lässt. Für den Menschen ist es giftig, weil die Leber die PAs umbaut.