Für mich ist Virginia Woolf ein Stückweit Mrs. Dalloway. Immer war ich fasziniert von den schwebend leichten Anfangszeilen dieses Buches und der Gastgeberin, die die Blumen für ihr Fest selbst kaufen möchte. Wirklich verstanden habe ich das Buch dann erst durch den Film „The Hours“, der das Leben und Schreiben von Virginia Woolf zeigt, als sie in Monk’s House lebt und am Roman „Mrs. Dalloway“ arbeitet. Der Bildband „Der Garten der Virginia Woolf“ zeigt dieses Leben und Schreiben von einer weiteren Seite, quasi vom Garten aus.
Das Besondere dieses Buches ist für mich, dass es Caroline Zoob gelingt die Beschreibung des Gartens mit dem Werk von Virginia Wolf zu verbinden. Ich habe den Eindruck, dass Caroline Zoob wirklich jede einzelne je in einem Roman von Virginia Wolf erwähnte Pflanze kennt und weiß, wann diese Pflanze an welcher Stelle im Garten wuchs. Dieses Wissen und diese Verknüpfungen sind wirklich beeindruckend. Der Bild- und Erzählband „Der Garten der Virginia Woolf“ bleibt ein Gartenbuch und gleichzeitig zeigt er in vielen Fällen wie die Inspiration der Schriftstellerin Wolf entstanden ist.
Zusätzlich hat Caroline Zoob offensichtlich auch sämtliche Briefe und Tagebücher von Virginia Woolf gelesen. Immer wieder werden Kommentare oder nur kurze Sätze eingestreut, die deutlich machen, wie inniglich beide Woolfs mit ihrem Haus und dem Garten verbunden waren. Es ist ganz genau wie Caroline Zoob es in der Einleitung beschreibt: Es ist bereits so vieles über Virginia und Leonard Woolf geschrieben, dass es ihr unmöglich schien, noch etwas Neues hinzuzufügen, aber dieses Buch ist das erste, das den Garten in den Mittelpunkt stellt. Damit Ist Caroline Zoob dann doch etwas Neues gelungen. Und es ist nicht nur neu, sondern auch so schwungvoll und dabei immer leicht, dass es eine Freude ist gemeinsamen den Entwicklungen von Schriftstellerin und Garten zu folgen. Mit Virginia Woolfs Büchern alleine auf dem Lesesofa ist es mir nie gelungen einen Zugang zu finden. Nun sehe ich vieles klarer. Und selbst wenn ich die Romane noch immer nicht verstehe (das ist noch herauszufinden…) habe ich nun die Welt der Schriftstellerin hinter den Werken kennenlernen dürfen.
Ich sitze bei einer Tasse Tee am Kamin und lese mich durch „Der Garten von Virginia Woolf“. Wahrscheinlich ist es mehr Leonard Woolfs Garten, aber mit diesem Titel hätte niemand das Buch angesehen, auch ich nicht. Aber so habe ich es angesehen und bemerkt, welch unglaublichen Garten Leonard und Virginia Woolf hatten. Um den Bildband besser zu verstehen, habe ich nachgelesen, wie das Leben von Virginia Woolf eigentlich war. Es hat mich sehr beeindruckt, wie vielschichtig, besonders und tragisch dieses Leben war. Auch Leonard Woolf hatte ein beeindruckendes Leben, von dem ich bisher gar nichts wusste. So erfahre ich nicht nur etwas über den Garten und welche Obstbäume wo standen, sondern lerne auch noch die beiden Menschen Virginia und Leonard kennen.
Im Sommer 1919 kaufen Virginia und Leonard Woolf Monk’s House. Das Haus liegt am nördlichen Rand des kleinen Dorfes Rodmell in Sussex. Monk’s House war der Garten von Virginias Schriftstellerjahren. In einer am Rande des Obstgartens verborgenen Schreibklause entstand im Laufe von 22 Jahren die Mehrzahl ihrer Romane. Als die Woolfs das Haus kauften, war es in einem sehr einfachen Zustand ohne Strom oder fließendes Wasser. Gleich in der allerersten Nacht im neuen Haus strömte Regenwasser die Stufen vom Garten herab und rann über den schräg abfallenden Boden und durch die Spülküche, um durch einen Spalt am jenseitigen Ende auf die Straße zu laufen. Aber trotzdem sprühten Virginias Briefe und Tagebucheinträge unmittelbar nach dem Hauskauf vor Begeisterung.
Im Januar 1920 fuhren die Woolfs von London ins eisige Rodmell, um sich von einer Grippe zu erholen, und Virginia schrieb ganz rührend, dort sei es schöner als ganz London zusammengenommen.
Das vorrangige Interesse galt der Verbesserung der Wohnverhältnisse. Sobald durch die verlegerische und schriftstellerische Tätigkeit des Ehepaares Woolf neue Einnahmen entstanden, wurden sie in das Haus gesteckt. Das Buch von Caroline Zoob lässt den Leser Stück für Stück miterleben, wie erst das Haus umgebaut und modernisiert wird. Später dann, als das Ehepaar Woolf über steigende Einnahmen verfügt, werden ein Stück Land hinzugekauft oder neues Schlafzimmer angebaut. Oft hat derjenige von beiden die Entscheidung, der für die jeweilige Aktion gerade das Geld zur Verfügung hat. Während Leonard sich 1929 nach dem Zukauf von ganz in seine neuen Gartenpläne vertiefte, plante Virginia ihren Anbau.
Ach ja, der Garten an sich. Das Buch beschäftigt sich kapitelweise mit je einem der zahlreichen Bereiche des Gartens, wie dem Teichgarten, der Bowling-Terrasse oder dem Gemüsegarten. Die Vielfalt und die Menge der Ernte muss enorm gewesen sein. Leonard hat kistenweise Obst auf dem Markt verkauft. Gelegentlich wurden auch Blumen an Virginias Schwester nach London geschickt. Besonders Leonard entwickelt sich von einem Anfänger zu einem wahren Kenner und Könner des Gärtnerns. Das Buch gibt einen Vorgeschmack auf den Garten selbst. Der Leser wandelt in Gedanken die verschiedenen Wege des Gartens entlang. Jeder Bereich ist ausdrucksstark und professionell bebildert. Bei aller gelungenen Beschreibung bleibt es zwar eine Beschreibung, die einen wirklichen Besuch nicht ersetzen kann. Doch diese Beschreibung ist so gut, dass ich unbedingt das Original sehen möchte.
Am Ende des Buches wird auch der Tod von Virginia Woolf nicht ausgelassen. Leonard lebt noch weitere 28 Jahre in Monk’s House. Wie bei vielen berühmten Gärten, war es auch bei Monk’s House nicht selbstverständlich, dass er weiterhin gepflegt und in Stand gehalten wurde. Ich bin immer wieder überrascht, das Gärten wie der von Virginia und Leonard Woolf oder auch der von Hermann Hesse in Vergessenheit geraten und letztlich halb aus Zufall halb aus beherztem Einsatz wagemutiger Einzelner vor dem Verfall und Verschwinden gerettet werden.
Monk’s House ist von April bis Oktober (jeweils Mittwoch bis Sonntag) für Besucher geöffnet. Wenn ich das nächste Mal in England bin, werde ich auf jeden Fall dort Station machen.
Nach den Woolfs hat niemand eine so lange Zeit (zehn Jahre, von 2000 bis 2011) in dem Haus gewohnt wie Caroline Zoob und ihr Mann. Das Haus ist seit 1980 im Besitz des National Trust, der es mit der Auflage den Garten zu pflegen und in seinem Zustand zu bewahren vermietet.
Caroline Zoob wird im Klappentext als Textilkünstlerin vorgestellt. Sie hat wunderschöne, fröhlich altmodische Skizzen des Gartens genäht und gestickt, die jedem der Gartenkapitel vorangestellt sind. Vielleicht gibt es auch einen Fachbegriff für diese Art von Arbeiten, den ich nicht kenne. Für mich sieht es aus wie eine Collage aus Stoffen, die zusätzlich bestickt ist. Sehr filigrane Arbeiten, auf denen selbst einzelne Blumen zu sehen sind. Wie viel Zeit und Arbeit mag alleine in diesen Zeichnungen aus Stoff stecken?
Alle in kursiv gesetzten Textstellen sind Zitate aus: Caroline Zoob „Der Garten der Virginia Woolf“, Deutsche Verlagsanstalt 2013. Fotos: Caroline Arber. Übersetzung: Claudia Arlinghaus.
Toll, Danke!
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