Ich habe mir einen lange gehegten Wunsch erfüllt und bin in den Lake District gefahren, um den Garten von Beatrix Potter zu besuchen. Beatrix Potter (1866 – 1943) hat von Kindheit an Aquarelle gemalt. Später hat sie dann begonnen auch Geschichten zu ihren Bildern zu erfinden und aufzuschreiben. Viele Jahre lang hat sie gegen den Widerstand „der Gesellschaft“ im Allgemeinen und ihrer Mutter im Speziellen kämpfen müssen, bis ihre Kunst anerkannt wurde. Ich finde es beeindruckend, zu erleben, wie ein Mensch seine Begabung erkennt und so lange zielstrebig und zäh auf seinem Weg bleibt, bis er ein Leben erreicht hat, das zu ihm passt. Für mich ist Beatrix Potter in diesem Punkt ein Vorbild.
Im Laufe der Jahre hat sie zahlreiche Kinderbücher geschrieben und illustriert. Sie war damit so erfolgreich, dass sie es sich leisten konnte ein Haus im Lake District zu kaufen und von London nach Nordengland zu ziehen. Im Lake District hat sie ihr Einkommen unter anderem genutzt, um weitere Farmen zu kaufen und diese vor Grundstückmaklern zu retten. Auf diese Weise hat sie erheblich dazu beigetragen, die Landschaft des Lake Districts zu erhalten.
Sie hat das getan, wofür ihr Herz gebrannt hat: Malen und Schreiben. Es war ein schwerer Weg gegen viele Widerstände. Und doch ist sie nicht zur menschenfeindlichen Einsiedlerin geworden sondern hat ihren literarischen Erfolg genutzt, um weiter Ziele zu erreichen, nicht nur für sich, sondern für die Menschen um sie herum. Ihr Garten war für sie oft Inspiration für neue Geschichten und Bilder. Dieser Garten ist bis heute für Besucher erhalten und geöffnet. Ich habe auf meiner Reise durch den Lake District dort Station gemacht. Ich bin als Gärtner beeindruckt von dem großen und vielfältigen Garten. Als Schriftsteller frage ich mich, wann sie die Zeit gehabt hat, all das zu erschaffen und trotzdem zu schreiben. Sicherlich hat sie nicht jede Blume selbst gepflanzt, aber es muss jemand da sein, der die Ideen hat und das Ziel anvisiert.
Der Garten von Hill Top Farm
Von der Straße kommend, wird der Besucher von einem langen Blumengarten empfangen. Die Staudenrabatte ist gepflegt und verwildert zugleich. Gärtnern lebt von der Erfahrung der vergehenden oder wiederkehrenden Jahre. Die Pflanzenwelt eines Gartens ist so vielfältig, dass sie sich nur im Laufe der Jahre verstehen lässt. Hier wächst vieles, das ich aus dem eigenen Garten mittlerweile kenne.
- Ein später Phlox tut mir den Gefallen noch zu blühen.
- Storchschnäbel in verschiedenen Sorten.
- Immer wieder Frauenmantel als Bodendecker.
- Der Alant mit seinen typisch ausgefransten Blüten.
- Ein vergessenes Tintenfass zwischen den Erdbeeren.
- Die Blüten der Herbstanemone tanzen auf unsichtbaren Stängeln über einem Beet aus Astern.
Das Klettergerüst für Wicken ist nur spärlich bewachsen. Tröstlich, dass auch in solch einem Garten Dinge in manchen Jahren nicht gelingen. Und selbst der Giersch darf hier wachsen und mitgestalten. Wie wird er wohl begrenzt? Ist ein dicht bepflanztes Staudenbeet möglicherweise ein ausreichender Schutz gegen die Ausbreitung des Gierschs? Vielleicht sogar ein besserer als sämtliche Methoden aus Wurzelsperren und Unkrautvlies? Das ist es, was die Kunst eines Staudenbeetes ausmacht: Über die Jahre die Pflanzen so anzuordnen, dass sie jedes Jahr neu austreiben und gleichzeitig den Wildwuchs zu formen anstatt ihn auszurotten.
Die Form dieses Staudengartens ist ungewöhnlich (sehr lang und schmal) und ich frage mich, wie er zu dieser Form gekommen ist. Vielleicht war der Eingang früher an anderer Stelle? Außerdem, wo ist das Gemüse? Bei aller Liebe für Blumen und Aquarelle war Beatrix Potter auch eine Farmerin und wird nicht auf einen Gemüsegarten verzichtet haben. Am Ende des schmalen Streifens gibt es einen, auf den ersten Blick kaum erkennbaren, Durchgang zu einem auf drei Seiten durch Mauern geschützten Gemüsegarten. Der Gemüsegarten ist ähnlich eingewachsen und gepflegt, wie die Staudenrabatte. Es gibt ein ganzes Beet Rhabarber, verschiedene Kohl-Sorten und Zucchini. Eine Wand aus Stangenbohnen teilt die Fläche in zwei Hälften. Himbeeren und Farn überwuchern eine niedrige Trennmauer. Dazwischen immer wieder hoch aufgeschossene Nachtkerzen. Entweder haben sie sich aus eigenem Antrieb zwischen dem Gemüse angesiedelt oder sie zählen im Lake District zu den Gemüse- / Nutzpflanzen. Wer das Gemüse wohl erntet? Blumen- und Gemüsegarten sind zwar Teil eines Museums, aber ein Garten lässt sich nicht einfach konservieren. Damit er so bleibt wie er ist, muss er ständig bearbeitet werden.
Moss Eccles Tarn
Ganz in der Nähe von Hill Top Farm liegt der Weiher Moss Eccles Tarn. Ich habe gelesen, dass Beatrix Potter gerne dort war und ihn mit Seerosen bepflanzt hat. Mit einem kleinen Umweg über das Nachbardorf Far Sawrey laufe ich zum Moss Eccles Tarn. Für meine an Schreibtischarbeit und Autofahren gewohnten Füße zieht sich der Weg in die Länge. Sicher, ich bin nicht den direkten Weg gegangen, aber selbst dieser dauert sicher eine dreiviertel Stunde. Vielleicht waren die Tage ja früher länger oder Beatrix Potter ein rastloses Multitalent, das nicht nur gemalt und gedichtet hat, sondern nebenbei noch eine eigene Farm bewirtschaftete, zahlreiche weitere Farmen vor der Landspekulation gerettet hat. Und nachdem sie damit fertig war ist sie dann zum abendlichen Schwimmen zum nicht einmal 2 Meilen entfernten Teich gelaufen. Das klingt für mich dann doch etwas zu perfekt. Ich vermute, dass an diesem Punkt die Biografien etwas übertreiben. Die Seerosen gibt es allerdings wirklich und zumindest hat ihr der Teich so gut gefallen, dass sie ihn gekauft hat.
Während es am Lake Windermere vor Touristen saust und braust, ist es hier naturstill. In der halben Stunde, die ich bereits hier sitze, Tee trinke und schreibe, ist kein einziger Mensch vorbeigekommen. Auf dem Rückweg von Moss Eccles Tarn nach Near Sawrey blitzt Esthwaite Water durch die Bäume. Ich kann gut verstehen, dass Beatrix Potter diese Landschaft gefallen hat. Und doch ist es ein weiter Weg bis zum aktiven Einsatz für etwas eher Abstraktes wie „die Landschaft“. Wer weiß – auch wenn dies nun ein sehr weiter und gewagter Bogen ist – vielleicht werden in späteren Jahren die Baumhausbewohner im Hambacher Forst ebenfalls wert geschätzt als Landschaftsschützer. Oft dauert es das eine oder andere Jahrzehnt, bis Dinge, die für völlig absonderlich gehalten werden, plötzlich selbstverständlich sind und fast jeder schon immer überzeugt war, dass es nur so gehen kann.