Vor einigen Jahren habe ich zwei winzige Töpfchen Waldmeister (Galium odoratum) geschenkt bekommen. Ich hatte sie in einen vergrabenen Eimer gepflanzt, damit sie mir nicht verloren gehen und ich im nächsten Frühjahr gezielt danach suchen kann, wenn sich Unkraut oder die angrenzenden Storchenschnäbel ausgebreitet haben. Welch ein Irrtum! Von allen wüchsigen Pflanzen in dieser Ecke des Gartens breitet sich nicht so schnell und vehement aus wie der Waldmeister. Und das obwohl mit Pfefferminz, Lampionblume und den erwähnten Storchenschnäbeln kräftige Wucherer zur Verfügung stehen.
Ich verbinde mit Waldmeister vor Allem das Brausepulver aus der Kindheit, grünen Wackelpudding und die Warnung vor Kopfschmerzen nach Waldmeisterbowle. Als Pflanze kenne ich ihn aus den nordhessischen Buchenwäldern. Im eigenen Garten habe ich dem Waldmeister einen vergleichbar halbschattigen Platz gegeben. Ich bin gespannt, was passiert, wenn er die Grenze des Halbschattens erreicht hat. Dann beginnt, recht abrupt ein vollsonniger Bereich. Ob er sich davon wirklich stoppen lässt?
Um den Beitrag schreiben zu können, schaue ich im Internet und meinem Gartenbüchern nach, was dort so über den Waldmeister geschrieben steht. Dabei lerne ich, dass der Waldmeister Früchte hat. Die kleinen Kügelchen (1 bis 2 Millimeter Durchmesser), sind mit Widerhaken besetzt und werden auf diese Weise durch Tiere verbreitet. Das war mir echt neu. Ich werde den Waldmeister im Auge behalten und auf kleine, klettige Kugeln achten. So lerne auch ich selbst durch meine Artikel immer wieder dazu.
Zum Thema „Waldmeister als Heilpflanze“ lese ich vor Allem drei Stichworte: Kopfschmerzen, Cumarin und Bettstroh.
Kopfschmerzen und Cumarin: Waldmeister soll sowohl gegen Kopfschmerzen wirken, als auch diese selbst verursachen. Beides hängt mit Cumarin als Inhaltsstoff zusammen. Cumarin ist in geringer Dosis beruhigend und gefäßerweiternd. Hinter Cumarin verbirgt sich die chemische Substanz 1,2-Benzopyron. Ich muss oft Schmunzeln, wenn ich erlebe, dass Chemie und Natur als Gegensätze beschrieben werden. Das eine als böses Übel der Neuzeit und das andere das Heile und Gute. Dabei besteht die Natur selbst auch aus Chemie und Cumarin ist nicht deshalb besser oder gesünder, weil es der Waldmeister hergestellt hat und nicht die Chemieindustrie.
Wenn ich all die verschiedenen Angaben und Vorschriften zur Verwendung von Cumarin lese, wieviel Milligramm davon in welchem Lebensmittel sein dürfen, dann habe ich sehr deutlich, den Eindruck, dass Cumarin nichts für Selbstmedikations-Experimente ist. Woher weiß ich denn, wieviel Cumarin mein Waldmeister heute wohl hat? Galt es vor 150 Jahren als herausragende Neuerung, dass Naturstoffe und chemische Substanzen mit einem definierten Gehalt hergestellt und vertrieben werden konnten, so kehren wir heute zur „guten alten Zeit“ zurück und schätzen grob ab, ob wir mit selbstgesammeltem Waldmeister unsere Kopfschmerzen therapieren oder uns statt dessen in einem Migräneanfall befördern? Für mich heißt es daher ganz klar: Finger weg von Cumarin als Selbstmedikation.
Bettstroh: Zum Bettstroh (wahlweise mit oder ohne Maria) gibt es sehr unterschiedliche Beschreibungen. Unstrittig ist, dass mit Bettstroh Kräuterkissen gemeint sind, die eine Wohltat für Wöchnerinnen sein sollten. Doch danach wird es sehr vielfältig. Vielleicht liegt das auch daran, dass viele Autoren nur eine sehr vage und eher romantische Vorstellung von Wöchnerinnen, die auf Stroh schliefen, sowie deren „medizinischer“ Versorgung und anderen Details der vorchristlichen Zeit haben. Was ist konkret mit „vorchristlicher Zeit“ gemeint? Ist das einfach ein anderes Wort für das Mittelalter? Eigentlich müsste „vorchristlich“ ja viel früher sein, aber wer kennt aus eigener Ansicht die Quellen aus dieser Zeit. Gibt es überhaupt Schriftstücke aus dieser Zeit? Und selbst die Kräuterbücher aus dem Mittelalter. Wer hat sie wirklich selbst gelesen? Ich habe großen Respekt vor Kräuterfrauen aus allen Jahrhunderten (auch dem aktuellen!) und sicher gab es auch Männer, die sich mit Kräutern auskannten. All diese Kräuterweisen haben besondere Fähigkeiten und Wissen gehabt und doch – sobald ich im irgendwo lese, dass bestimmte Kräuter verwendet wurden, weil sie antibakteriell sind, habe ich den Eindruck, dass dies eher die Fantasie des heutigen Autors als die Weisheit der mittelalterlichen Kräuterfrau ist.
Bereits nach einer kurzen Recherche habe ich außer Waldmeister noch 3 andere Kräuter gefunden, von denen es heißt, sie hießen Bettstroh: Quendel (Feld-Thymian, Thymus serpyllum), echtes Labkraut (Galium verum), Johanniskraut (Hypericum perforatum). Mit Bettstroh ist wahrscheinlich eine Sammlung von unterschiedlichen Kräutern je nach Region und Jahreszeit gemeint, mit denen Kräuterkundige und Wöchnerinnen gute Erfahrungen gemacht haben.