Winterzeit ist Lesezeit (5) – Reginald Arkell „Pinnegars Garten“

Schon der erste Satz begeistert!
Es war einer dieser milden Herbsttage, an denen sich der Frühnebel im Laufe des Vormittags in sanften, durchdringenden Nieselregen verwandelt und Wasser von jedem Blatt tropft; nicht mehr Sommer und noch nicht Herbst; nur eine kleine Pause zwischen den Jahreszeiten mit dem Besten, was beide zu bieten hatten: nicht zu warm wie in den letzten Tagen und nicht zu kalt, wie es bald sein würde.

Nicht, dass dort ein Wetter beschrieben würde, bei dem ich selbst gerne im Garten arbeitete. Für mich wäre das eher ein Tag für ein langes Frühstück und vielleicht ein Buch über den Garten anstatt des Gartens selbst. Dennoch nimmt mich die schwebende Stimmung des Buches sofort für sich ein.

Das erste Kapitel zeigt einen alten Mann, aus am Fenster seines Cottages schauend auf seine Zeit als Gärtner des Herrenhauses zurückblickt. Angefangen von der Zeit als Laufbursche, dann über viele Jahre und ebenso viele Zwischenstufen bis schließlich zum Obergärtner „seines“ Reiches.

Ab dem zweiten Kapitel blickt das Buch dann zurück in die Kindheit und Jugend eben dieses alten Mannes und beschreibt in liebevoll erzählten Kapiteln dessen harten Lebensweg. So merkwürdig es auch klingen mag, es ist durchaus ein mühevoller Lebensweg, auf den der Gärtner zurückblickt und dennoch ist es so liebevoll beschrieben, dass ich mich immer wieder bei dem Gedanken ertappe, welch wundervolles Leben es doch ist.

Als Leser bleibt mir lange unklar, ob der Autor sein eigenes Leben beschreibt oder das Leben eines anderen Mannes, den es tatsächlich gegeben hat. Das Nachwort klärt dann darüber auf, dass weder das eine noch das andere zutrifft. Das Nachwort gehört an den Anfang! Hm, nun ja, ich gebe zu, ich selbst lese selten die Vorworte. Andererseits – falls mir das Buch gefallen hat und Pinnegars Garten hat mir außerordentlich gut gefallen – bin ich direkt begierig nach weiteren Informationen über das Buch, seine Helden und seinen Autor, die vielleicht in einem Nachwort stecken könnten.

Das Nachwort von Penelope Hobhouse beschreibt sehr kenntnis- und facettenreich die historischen Hintergründe:

Arkell und sein Held Herbert Pinnegar wurden im selben Jahrzehnt geboren. Der Leser blickt also durch Pinnegars Augen auf Arkells frühe Erinnerungen und nimmt Anteil an den ländlichen Ereignissen, über die man sich damals gegen Ende des viktorianischen Zeitalters erregte. Der Roman ist ein sensibles Abbild dörflichen und gärtnerischen Lebens, das siebzig Jahre sozialen Wandels umfasst.

Soziale Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit oder etwa die Armut auf dem Lande sind nicht Arkells Themen. Stattdessen webt er seine Geschichte um die zarten Fäden einer Beziehung, die nahezu sechzig Jahre lang Herbert Pinnegar und die Besitzerin seines Gartens, die reizende Mrs. Charteris, verbindet. Es ist eine köstliche Geschichte. Ein scheuer Vierzehnjähriger bekommt die Chance, seine Liebe zur einheimischen Flora, die ihm bereits von seiner Lehrerin eingeimpft worden war, mit einer ordentlichen Ausbildung zu stützen. Er lernt die botanischen Namen und entwirft mit seiner jungen, frisch verheirateten Herrin Pflanzpläne für den Garten.

In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und selbst bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Gärtnern eine Sache der Erfahrung, bei der ein durch die Jahrhunderte überliefertes Wissen mehr galt als jedes akademische Studium. Bei Arkell liest sich dies alles sehr authentisch. Er beschreibt, wie der Garten eines Herrenhauses vor 1914 »funktionierte«, in einer Zeit, als die Traditionen unerschütterlich und die Arbeitskräfte billig waren. Im Blumen- und Küchengarten rackerte innerhalb einer komplizierten Rangordnung eine ganze Brigade von Gärtnern. Ihre tägliche Routine und die vom Frühling bis zum Spätherbst damit verbundenen Aufgaben waren ausschließlich darauf gerichtet, zu jeder möglichen oder unmöglichen Jahreszeit Obst, Gemüse und Blumen zur Freude und zum Verzehr der landbesitzenden Klasse hervorzubringen.

Wegen des Mangels an Fachkräften, hoher Erbschaftssteuern und einer Reihe anderer fataler steuerlicher Abgaben gab es nach 1945 wenig Grund, mit Optimismus in die Zukunft jener Gärten zu blicken, die zuvor das Rückgrat des National Garden Scheme dargestellt hatten. In den Nachkriegsjahren mussten private Gärten ständig verkleinert werden. Viele der großen Häuser galten damals als weiße Elefanten – unnütz, exotisch und geldverzehrend. Sie wurden abgerissen, und ihre schönen Gärten gingen als Baugrundstücke der Nachwelt verloren.

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