Naturforscher, Weltreisender, Pflanzenkenner – Zum 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt

Heute wäre Alexander von Humboldt 250 Jahre alt geworden. Mich beeindruckt seine Fähigkeit in einzelnen und voneinander unabhängigen Bausteinen das gemeinsame zu erkennen und daraus etwas Neues und Ganzheitliches zu formulieren. Die Beziehungen der Dinge untereinander sind ja alle da, es ist nur bis heute nicht selbstverständlich diese Beziehungen zu erkennen. Mit den aktuellen Diskussionen zum Klimawandel rücken sie wieder neu in unsere Bewusstsein. Ein Gletscher in Grönland oder ein Brand im Amazonas stehen in Beziehung zu Menschen, Tieren und Pflanzen, die viele Kilometer davon entfernt sind. Alexander von Humboldt war einer der ersten dem klar wurde, dass die Welt um uns herum nicht nur leblose Materie ist, sondern lebendig und beseelt und weltweit vernetzt.

Zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe ich ihn bei einem Besuch im Schokoladenmuseum in Köln. Dort hängen einige Schautafeln über seine Südamerika-Reise. Überall wird von „Reise“ gesprochen. „Lebensbedrohliche Expedition“ wäre allerdings die passendere Beschreibung. Mit einer Reise im heutigen Sinne hat das was Humboldt von 1799 bis 1804 getan hat wenig zu tun. Offiziell ist Humboldt eine Art Kundschafter des spanischen Königs. So ein bisschen wie die Trapper im Wilden Westen. Der spanische König wusste offensichtlich selbst nicht so genau, was ihm in Südamerika alles gehört und was sich damit machen lässt. Humboldt fährt also los und ist erst 4 Jahre später wieder zu Hause. Bei seiner Abreise wusste er weder, wohin er fahren würde noch wann er wieder zurückkehrt. Bei den zahlreichen Kriegen der verschiedenen europäischen Könige, war nicht einmal klar, in welches Heimatland er zurückkehren würde. Wenn ich versuche diese Randbedingungen ins Heute zu übertragen, fallen mir am ehesten Patrick Allgaier und Gwendolin Weisser ein. Sie sind so lange nach Osten gelaufen, getrampt, gefahren (aber nie geflogen) bis sie nach drei Jahren aus Westen wieder zu Hause angekommen sind.

Alles, was ich mittlerweile über Humboldt weiß, kenne ich aus Andrea Wulfs Buch „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ sowie aus zahlreichen Sendungen des Deutschlandfunks. Ich bin vorsichtig mit Begriffen wie „entscheidend dazu beigetragen“ oder gar „entdeckt“, weil ich die Bücher und Forschungsunterlagen von Humboldt und seinen Zeitgenossen nicht selbst gelesen habe. Ich kann daher nur wiedergeben, was andere über ihn berichten.

Es ist unglaublich mit welchem Schwung, mit welcher Leichtigkeit und mit welcher Detailbegeisterung Andrea Wulf durch das Leben von Alexander von Humboldt fegt. Für jede noch so kleine Begebenheit hat sie die passende Referenz parat und allein die Anmerkungen füllen 150 eng bedruckte Seiten.

Nach vielen Jahren des sehnsüchtigen Wartens und der ständigen Vorbereitung kommt Humboldt im Juli 1799 im heutigen Venezuela an. Nach ein paar Wochen atemloser Sammelei von Eindrücken und Objekten beginnt er einen ersten Abstecher entlang der Küste des heutigen Venezuelas. Eigentlich wird die Reise ins Landesinnere gehen, aber Humboldt macht gerade mal so eben 150 Kilometer Umweg, um noch einen bestimmten See zu besuchen. Wohlgemerkt, er reist zu Fuß mit 4 Maultieren für all seine Instrumente, Unterlagen und Notizen. Am See angekommen diskutiert er mit den Einheimischen die schädlichen Folgen der Waldrodung.

Über 200 Jahre und einige tausend Kilometer entfernt im Garten sitzend, lässt Andrea Wulf mich an Humboldts Erlebnissen teilhaben als wäre ich dabei. Mir ist durch Humboldt neu klar geworden, dass vieles von dem, was uns heute selbstverständlich ist, irgendwann einmal entdeckt, erfunden oder zumindest zum ersten Mal gedacht werden musste. Humboldt hat in einer Zeit gelebt, als vieles davon stattgefunden hat. So selbstverständliche Dinge, zum Beispiel dass die Baumgrenze immer weiter sinkt, je weiter man nach Norden fährt. Auch so etwas ist eben nicht selbstverständlich. Zur Zeit Humboldts bewegten sich die Menschen mit Postkutschen. Entsprechend klein war der geografische Radius der eigenen Erfahrungen. Nur wenige, hatten wie Alexander Humboldt die Möglichkeit Pflanzen in den Alpen und in den Anden mit eigenen Augen zu sehen und ihre Ähnlichkeit zu erkennen.

Etwa ein Drittel des Buches ist der Weiterentwicklung von Humboldts Ideen gewidmet. Hier geht es dann um ganz unterschiedliche Personen, wie Charles Darwin oder Henry David Thoreau. Auf diese Weise nimmt die Autorin Humboldts Idee von der Vernetzung der Dinge auf. Sie beschreibt nicht nur Humboldt alleine, sondern blickt über ihn hinaus und erläutert, wie andere Humboldts Gedanken weitergesponnen haben.

Im Kapitel „Dank“, das erste eines ausführlichen Anhangs wird deutlich, wie sehr ein Autor nur die Spitze des Eisberges ist. Viele, viele andere Menschen tragen gleichermaßen zum Gelingen und Entstehen des Buches mit bei, auch wenn sie nicht auf dem Umschlag stehen. Zumindest werden sie bei Andrea Wulf in einem eigenen Kapitel aufgelistet.

Überhaupt der Anhang. In einer Besprechung bei Amazon hat ein Leser bemängelt, dass das Buch deutlich preisgünstiger sein könnte, wenn auf den dicke Anhang von 150 Seiten verzichtet worden wäre. Hat da jemand die letzten 10 Jahre und sämtliche Plagiats-Skandale um Politiker verpasst? Der Anhang ist das eigentliche Herzstück des Buches. Die Leistung der Autorin ist es, all diese Informationen in einen leicht lesbares Werk zu übertragen – aber ohne diese Angaben könnte alles was sie schreibt genausogut auch erfunden sein.

Es wird zwar viel über „fake news“ und „alternative Fakten“ diskutiert und gelästert aber ich habe den Eindruck, das Wissen um den Unterschied zwischen Fakten und Dichtung ist vielfach verloren gegangen. „Forschungsergebnisse ändern sich von Zeit zu Zeit.“ Nein, genau das tun sie eben nicht! Man kann die Ergebnisse unterschiedlich verstehen und erklären und natürlich gibt es neue Ergebnisse, die ältere ergänzen oder gänzlich verwerfen, aber einer Auslegung, einer Interpretation, muss überhaupt ersteinmal ein Beleg zugrunde liegen. Mir scheint, dass es selbstverständlich geworden ist, einen Beleg einfach zu erfinden, damit die eigene These stimmig wird. Davon hebt sich Andrea Wulf wohltuend ab, indem sie für ihre Aussagen die Quellen benennt.

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