In spirituell orientierten Kräuter-Büchern ist oft die Rede davon, dass sich in einem Garten diejenigen Kräuter ansiedeln, die der Mensch braucht, der dort wohnt. Anfangs hielt ich das einfach nur für „Spökenkiekerei“. Mittlerweile frage mich, weshalb eine Pflanze – wenn sie denn schon ein beseeltes Wesen ist – das tun sollte? Warum soll sie sich ausgerechnet um den Menschen kümmern? Was unterscheidet aus Sicht der Pflanze, den Menschen von einer Amsel oder einem Igel? Ist unser Glaube an den Menschen als Krone der Schöpfung so tief verwurzelt, dass selbst die Pflanzen dafür herhalten müssen, sich um uns zu scharen?
Andererseits, einfach mal angenommen es wäre wirklich so, dass Pflanzen dort wachsen, wo sie Menschen finden, denen sie zur Hilfe sein wollen. Dann frage ich mich, ob die Pflanzen auch wieder weggehen, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben? Vor etwa fünf Jahren hatte sich in meinem Garten an verschiedenen Stellen Pimpinelle (Sanguisorba minor) ausgebreitet. Ich mag das Kraut und mische es gerne in Salate. Aber dann, vor zwei Jahren fehlte sie plötzlich völlig. Ich frage mich wo sie hin ist und was ihr in jenem Jahr nicht behagt hat. Inzwischen habe ich sie aktiv wieder angesiedelt.
Ähnlich wie die Vogelmiere, ist auch die Pimpinelle noch bis tief in den Winter als frisches Kraut im Garten zu finden. In diesem Jahr hat sie bis Mitte Februar ausgehalten, bevor sie der harte Frost dahingerafft hat. Doch kaum ist der Frost vorbei, sieht die Pflanze aus, als sei nichts gewesen. Bei dieser Widerstandsfähigkeit überrascht es mich nicht, dass Pimpinelle auch zur „Grünen Soße“ gehört – allzuviel Auswahl an frischem Grün gibt es jetzt einfach noch nicht. Mittlerweile wird die Grüne Soße das ganze Jahr über gegessen, doch ich kenne sie hauptsächlich als Frühlings- oder Gründonnerstagsessen. Daher muss alles was in die Soße kommt, schon früh im Jahr reichlich wachsen.
Wie bei vielen, für die moderne Supermarktgesellschaft ungewöhnlichen, aber essbaren, Pflanzen – also alles was nicht Kopf-, Feld-, Pflücksalat oder Rucola ist – stellt sich die Frage nach einer heilsamen Wirkung. Ich empfinde es jedoch als völlig ausreichend, dass Pimpinelle gut schmeckt und als frisches Kraut aus dem eigenen Garten vitamin- und mineralienreich ist. Bei Feldsalat fragt ja auch niemand, gegen welche Krankheit er hilft.
Die jungen Blätter der Pimpinelle sind jedes einzeln gefaltet und wirken sehr fragil. Im Laufe des Jahres wird die Pflanze als Ganzes jedoch robust und kräftig, während jedes einzelne Blatt zart und hauchdünn bleibt. Später im Jahr bilden sich kugelige Blüten mit winzigen roten Blütenblättern. Dieser Widerspruch zwischen der Zartheit des einzelnen Blattes und der kräftigen Pflanze führt leicht dazu die Pflanze zu unterschätzen. Genau wie beim Ruprechtskraut mit seinen zierlichen, rosafarbenen Blüten, ist man leicht zu arglos und kaum ein paar Wochen später ist das Gemüsebeet fest in der Hand des angeblich so harmlosen Eroberers. Nach den ersten Schüsseln mit Wildkräutersalat, werde ich im Gemüsebeet kräftig aufräumen, um all die so freundlich daherkommenden Wucherer in die Schranken zu weisen.