In meinem erlernten Beruf, der Chemie, gibt es eine Reihe von Farben, die eine besondere Bedeutung haben oder als Name für eine bestimmte Substanz stehen. Da wird dann z.B. ein elend langer Name mit ganz viel „poly-hydroxy-di-phenyl“ einfach mal zu „Berliner Blau“ zusammengefasst. Nur mal so als Beispiel, aber keine Angst, das wird jetzt kein Artikel über Hexa-cyano-ferrate oder irgendsoein Zeugs. Weniger bekannt sind die Farben „Lauchgrün, dunkel“ oder „Milchblau“, die Substanzen aus Kupfer und Zucker beschreiben.
Daran erinnerte ich mich, als ich heute Morgen durch den Garten schlenderte. Eine ganze Fläche des Rasens leuchtete in blauen Gundermann-Blüten. Mir war durchaus bewusst, dass nicht nur Schafgarbe, Duft-Veilchen und Gänseblümchen den Rasen in eine Wiese verwandeln, sondern eben auch Gundermann. Aber dass er in solchen Mengen auftritt überrascht mich dann doch. Das ist ja eher eine Gundermann-Monokultur mit gelegentlichen Einsprengseln von Gras und Schafgarbe. Das lässt mich echt ins Grübeln kommen, ob Gundermann einfach ein blühendes Beiwerk ist, das halt auch hier gedeiht oder ob ich mir mal Gedanken über Sinn und Unsinn von Gundermann machen möchte.
Lange hatte ich mich auf Giersch als das wesentliche Unkraut des Gartens konzentriert, aber nun wird klar, dass Gundermann dem Giersch sicher ebenbürtig ist. Er schleicht mit seinen Ranken relativ unerkannt und tief geduckt über den Rasen. Der volkstümliche Name Erdefeu passt wirklich gut. Der Gundermann ist tatsächlich wie eine Efeu-Ranke auf der Erde. Aber jetzt zur Blüte ragt er plötzlich hervor und ich bin überrascht und erschrocken, welche Flächen er sich mit seinen Ranken schon wieder erobert hat. Die Versuche eine Fläche frei von Gundermann zu halten, sind echte Sisyphos-Arbeit. Der Unterschied zum Giersch ist, dass ich nicht die ganze Fläche umgraben muss. Ein weiterer Unterschied ist, dass sich Giersch als Salat und Gemüse verwenden lässt. Der Geschmack des Gundermanns würde ich dagegen eher als „erdig-muffig-minzig“ beschreiben. Eine Kombination, die mich bisher nicht begeistert hat. Aber, ich will dem Gundermann doch wenigstens auch mal eine Chance geben und schaue in den verschiedensten Kräuter- und Heilpflanzen-Büchern nach.
Doris Grappendorf verfolgt in ihrem Buch „Unkräuter – Heilende Freunde in meinem Garten“ einen eher mystischen Ansatz und sieht die Pflanzen gleichsam als beseelte Wesen, die aktiv ein Ziel verfolgen. Das ist für mich als Naturwissenschaftler eine recht ungewöhnliche These, aber ich will sie auch nicht grundsätzlich ablehnen, zumal Frau Grappendorf als Arzt-Helferin, Biologin und Heilpraktikerin das medizinische Wissen mitbringt, um Wunschdenken von Heilung zu unterscheiden.
Mannfried Pahlow orientiert sich als Apotheker an Studien und wissenschaftlichen Nachweisen. Er ist damit eher ein Vertreter der Phyto-Schulmedizin.
Während Frau Grappendorf euphorisch vom Gundermann bzw. der Gundelrebe schwärmt, hat Herr Pahlow nur ein „na ja, schadet zumindest nicht“ für ihn übrig. Ich muss wohl selbst entscheiden, ob ich den Gundermann zum heilenden Freund oder zum garsteigen Eindringling erkläre. Für beide Ansätze gibt es glaubhafte Hinweise. Wie singt Pippi Langstrumpf so treffend „Ich mach‘ mir die Welt, so wie sie mir gefällt“. Wie mache ich mir meine Gartenwelt? Ist es ein Reich voller Feinde, die mir „meinen“ Garten überwuchern oder ist es ein Miteinander in dem selbst Gundermann und Giersch ihren Platz haben dürfen? Nicht alles soll so bleiben, wie es von alleine wächst – dafür bin ich schließlich der Gärtner! – aber vieles wird mich erst gar nicht fragen, ob es hier wachsen darf. Ich kann nun wählen, ob ich meine Kraft in ein immerwährendes NEINEINEIN zwängen will oder tief ausatme und den Rhythmus der Landschaft, des Gartens aufnehme. Ich merke, wie gut es mir tut solche Zusammenhänge zu sehen und die Perspektiven wählen zu können. Danke, lieber Gundermann für die anregenden Gedanken!
Das schreiben die anderen zu Gundermann:
Doris Grappendorf: Unkräuter – Heilende Freunde in meinem Garten
Die Gundelrebe war eines der ersten Wildkräuter, die ich kennen lernte. Als junge Frau hatte ich beschlossen, eine Kräuterfrau zu werden. Ich wusste aber nicht genau, wie man einen solchen Beruf erlernt. Heute bin ich mir sicher, dass die Gundelrebe meinen Ruf gehört hat und mich stets begleitet hat, um mir zu helfen, all die anderen Pflanzen besser kennenzulernen. Sie hat für mich sozusagen vermittelt. Schon von Anfang an nahm ich ganz „zufällig“ immer ein Blättchen der Gundelrebe in die Hand und rieb daran, um mich von ihrem Duft verzaubern zu lassen, bevor ich zu meinen Spaziergängen aufbrach. Damals wusste ich noch nichts über ihre Heilkraft, ich fand sie einfach nur schön und konnte nicht genug von ihrem Duft bekommen.
Die Gundelrebe ist eine alt eingesessene Pflanze. Sie war schon in der keltischen und germanischen Heilkunde berühmt und eine der wichtigsten Heilpflanzen. Die starken ätherischen Ölpflanzen des Mittelmeerraumes, die die Römer später mitbrachten, kannte man hier nicht. (…) Ihre ätherischen Öle sind so stark, dass sie Bakterien, Viren und sogar Pilze in Schach halten. Das ist auch der Grund, warum sie bei entzündeten und schlecht heilenden Wunden so wirksam ist. Die Blätter werden einfach ein bisschen zerquetscht und auf die Wunde gelegt. Oder die Wunde wird mit abgekühltem Tee aus frischen Blättern ausgewaschen. (…) In alten Zeiten war es bei uns nicht üblich, Tee aus einer Pflanze zu kochen. Man aß die Pflanze einfach direkt. Wenn ein Auszug gemacht wurde, dann verwendete man Milch oder Honig. (…) Milch ist ein hervorragendes Auszugsmittel, da es fettlösliche (ätherische Öle) und wasserlösliche Stoffe optimal auszieht.
Mannfried Pahlow: Das große Buch der Heilpflanzen
Die Inhaltsstoffe schließen eine Wirksamkeit nicht aus, aber die Schulmedizin verwendet die Gundelrebe nicht. Man kann jedoch neben jungen Schafgarbenblättern, Kerbelblättem, Brunnenkresse, Gänseblümchen, Brennesselblättem und Birkenblättern auch etwas Gundelrebe mit in den Frühlingssalat geben. Solche Salate sind in letzter Zeit immer beliebter geworden und werden mitunter sogar vom Arzt empfohlen, weil sie durch leichte Reizwirkung die Aktivität fast aller Körperorgane steigern, was das Wohlbefinden fördert