Mein wilder Heilpflanzengarten

Küchen-, Heil- und Wildkräuter

Als ich meinen Garten kennengelernt habe, gab es dort ein Beet mit Küchenkräutern. Dies ist nun einige Jahre her und bei den verschiedenen Umgestaltungen, die ich im Garten vorgenommen habe, war auch immer wieder einmal die Idee dabei, aus diesem Küchenkräuterbeet einen Heilkräutergarten zu machen. Ich dachte Heilkräuter gehören in einen eigenen Gartenbereich und wollte dafür das Beet der Küchenkräuter verwenden. Ein doppeltes Missverständnis.

(1) Nicht alle Heilpflanzen sind Kräuter. Was beim Thymian noch eine spitzfindige Diskussion sein mag, wird spätestens bei Holunder und Weißdorn deutlich. Beide haben mit Kräutern wenig zu.

(2) Nicht alle Heilpflanzen haben dieselben Ansprüche und lassen sich mal eben so ein gemeinsames Beet setzen. In meiner Vorstellung spielte da sicher eine vage Idee eines Klostergartens eine Rolle. Doch selbst wenn es den Mönchen gelang, alle in einem Kloster verwendeten Heilpflanzen anzubauen, so war das sicher nicht ein einzelnes Beet sondern eine ganze Gartenanlage.

Seit diesen ersten Gedanken kommen Jahr für Jahr neue Ideen und neues Wissen hinzu. Als erstes stellte sich für mich die Frage: „Was sind denn überhaupt Heilkräuter?“. Heilkräuter ist zwar ein gängiger Begriff, aber viele der Pflanzen sind botanisch gesehen Stauden oder gar Sträucher. Das ist zumindest die Sichtweise der Botanik ( = Pflanzenkunde). „Kraut“ – so verstehe ich es mittlerweile – ist einerseits eine Ortsangabe, nämlich „oberirdische Pflanzenteile“ und zusätzlich die Aussage, dass die Pflanze nicht verholzt. Lavendel, der nach mehreren Jahren holzig wird, ist also kein Kraut. Demnach sind HeilKRÄUTER streng genommen nur jene Pflanzen, die nicht verholzen und deren oberirdische Pflanzenteile eine heilsame Wirkung haben, wie zum Beispiel die Ringelblume aber weder Thymian noch Lavendel.

Küchenkräuter: Als ob die botanischen Begriffe nicht schon verwirrend genug sind, gibt es noch das Stichwort Küchenkräuter. Wann ist denn ein Kraut für die Küche und wann ist es heilsam? Wenn ich Wildgulasch mit Thymian würze ist der Thymian dann ein Küchenkraut oder eine Heilpflanze, die ich auch zum Kochen verwenden kann? (Ganz abgesehen davon, dass Thymian immer noch kein KRAUT ist…)

Wildkräuter: Heil- und Küchenkräuter sind für den Gärtner willkommene Gäste. Schwieriger wird es da schon bei wilden Kräuter, also solchen, die niemand gepflanzt hat und die trotzdem wachsen. Man könnte auch Unkräuter dazu sagen. Ich brauche den Spitzwegerich aber als wirksames Mittel gegen Insektenstiche. Laufe ich jedes Mal durch Wald und Flur, um drei Blätter Spitzwegerich zu finden oder siedele ich ein Unkraut, ähm, ich meine natürlich dieses wilde Heilkraut aktiv im eigenen Garten an? Ein eigenes Beet für Unkraut wie Löwenzahn und Spitzwegerich. Das ist eine echte Herausforderung für den Gärtner.

Ich habe mich daher dafür entschieden, nur noch von Heil-Pflanzen zu sprechen. Im Garten geht es einfach um die Pflanze, die wachsen soll und dabei vom Gärtner gepflegt wird. Was dann der Heiler oder die Köchin daraus machen und ob sie dafür das Kraut, die Blüten oder die Wurzel verwenden, das soll dann deren Thema sein. Zuerst muss die Pflanze überhaupt wachsen.

Meine ersten Versuche eines Heilpflanzengartens scheiterten also schon allein aus Mangel an botanischem Wissen. Zudem habe ich mich, mit der romantischen Vorstellung eines Klostergartens im Hinterkopf, zu wenig an den Bedürfnissen der Pflanzen orientiert. Auch lässt sich ein Holunder nicht gerade mal so eben umpflanzen, weil ich entschieden habe, dass diese besonders ausgeschilderten 25 Quadratmeter ab sofort der Heilpflanzengarten sind.

Langsames Herangehen

Die zweite wichtige Grundvoraussetzung für einen Heilpflanzengarten ist Geduld. Vor einigen Jahren habe ich einen Kurs in einer Heilpflanzenschule besucht. Immer wieder wies die Leiterin darauf hin, dass zu alten Zeiten die Kräuterfrauen eine neunjährige Lehrzeit hatten und dabei in jedem Jahr nur eine einzige Pflanze intensiv begleiteten. Lange habe ich nicht verstanden, weshalb man sich jeweils ein ganzes Jahr mit nur einer Pflanze beschäftigen soll. Ein wenig hat allerdings auch die Leiterin der Heilpflanzenschule zu diesem Unverständnis dazu beigetragen, indem sie an jedem Kurstag wahllos neue Pflanzen auf die Zuhörer niederprasseln ließ und fast stolz darauf war, dass sie nicht sagen konnte wie viele Pflanzen in ihrem Skript vorkommen. Nun, einige Gartenjahre später beginne ich zu verstehen, weshalb wenige Pflanzen und viele Jahre ein gutes Konzept sind. (Ein verständliches und gut strukturiertes Skript, wäre auch ein gutes Konzept. Doch das ist eine andere Geschichte)

Es ist wichtig zu einer Pflanze eine Beziehung aufzubauen. Ich meine das viel weniger mystisch oder esoterisch als es klingen mag. Ich kann noch so oft nachlesen das Herzgespann bei Schilddrüsenüberfunktion verwendet wird oder Tausendgüldenkraut die Verdauung anregt, solange ich die Pflanze nur aus Wikipedia kenne, werde ich sie (hoffentlich!) nicht anwenden. Ich selbst muss ein Gespür dafür bekommen, wie die Pflanze wirkt, wann ich sie ernte und was ihre Grenzen sind.

Heutzutage kann ich vieles zwar im Internet nachlesen, aber besser kaufe ich mir ein paar Bücher von verlässlichen Autoren. Doch egal, ob Internet oder Offline-Informationen aus gedruckten Bücher, es war noch nie so leicht Informationen zu beschaffen wie heute. Da muss man gar nicht bis in Mittelalter zurückgehen oder wann auch immer die in den Kräuterkursen oft zitierten „alten Zeiten“ waren. Noch für 50 oder 100 Jahren war man darauf angewiesen, eine Pflanze das ganze Jahr über mit den eigenen Sinnen zu erleben, um sie wirklich kennenzulernen. Dementsprechend lange dauert es, bis ich genug weiß um die Pflanze verwenden zu können. Zudem kann ich nur über solche Pflanzen etwas lernen, die in meiner Region überhaupt wachsen.

Mich hat es lange verwirrt, dass ich Internet oder auch in den Büchern von Ursel Bühring (meine persönlichen Referenz für verlässliche Informationen zu Wirkung und Dosierung von Heilpflanzen) auf einen Schlag gleich 10 oder noch mehr Pflanzen finde, die alle eine antibakterielle Wirkung haben sollen. Ja welche ist denn nun DIE antibakterielle Pflanze frage ich mich? Die Antwort ist ganz einfach: Die Pflanze, mit der ich vertraut bin und die in meiner Region wächst.

Für die germanische Kräuterfrau war das sicher eine andere als für den bretonischen Druiden. Und auch im Mittelalter sicher bis weit ins 19. und auch 20. Jahrhundert hinein, fuhr man nicht gerade mal eben für einen Bund Basilikum an die Adria. Man musste also wissen, welche Pflanze in der eigenen Region die gesuchte Eigenschaft hat. Möglichst vielleicht auch noch je eine im Winter und eine im Sommer, damit man immer frischen Pflanzen sammeln konnte. Man versuche einmal ohne Wikipedia, ja überhaupt ohne Bücher herauszufinden, wie der Spitzwegerich im Januar aussieht. Da muss man dann einfach wissen, wo ein Spitzwegerich wächst und in alle paar Wochen besuchen und beobachten.

Natürlich ist Goethe bereits 1786 nach Italien gereist, doch für den normalen Einwohner von Weimar, Goethes langjährigem Wohnort, lag ein realistischer Bewegungsradius vor der Verbreitung der Eisenbahn um 1850 sicher bei einigen wenigen Kilometern. Die Hausfrau zur Zeit Goethes verbindet mit der „Kräuterhexe“ des Mittelalters die Tatsache, dass sie sich nur mit Pflanzen der unmittelbaren Umgebung auseinandersetzen konnten.

Dies ist es was mit einer Beziehung zu Pflanzen gemeint ist. Ich bin davon überzeugt, dass frühe Kräuterfrauen viel bodenständiger waren, als wir uns das heute vorstellen. Die hatten gewiss keine Duftlampen und Kristallpendel in ihrer Waldhütte. Aber sie kannten ihre Pflanzen ganz genau und wussten sehr gut, welcher Pflanze sie was zutrauen. Sie wussten sicher auch, wo ein bestimmtes Kraut schon zwei, drei Wochen früher zu finden ist, als sonst in der Region.

Ich merke mittlerweile, dass ich nach 4 Jahren Umgang mit Kräutern und Heilpflanzen in unserer ach so modernen und gut informierten Zeit, letztlich nicht erfahrener bin als jemand, der sich von Anfang an auf eine Pflanze pro Jahr konzentriert. Das Konzept „9 Kräuter in 9 Jahren“ ist wohl längst nicht so altmodisch oder unsinnig, wie ich einmal dachte.

Meine Heilpflanzen

Mit diesem Vorwissen gehe ich noch einmal ganz neu an das Thema Heilpflanzen heran. Von der Idee eines klar umgrenzten Heilpflanzenbeetes bin ich längst abgekommen. Im Garten wachsen auch ohne ein solches Beet bereits jetzt viele Heilpflanzen. Einige habe ich zuerst nicht als Heilpflanzen verstanden und andere haben sich ganz von alleine angesiedelt. Die vorhandenen Pflanzen dürfen dort bleiben, wo sie eingewachsen sind. Außerdem wähle ich viel gezielter aus, was ich in den Garten holen möchte und diese Neuzugänge bekommen gleich einen Platz, an den sie passen.

Viel wichtiger als die Frage nach einem Beet oder gar einer Kräuterspirale mit möglichst drei bis fünfzehn Vegetationszonen auf vier Quadratmetern sind die Fragen „Welche Heilpflanzen brauche ich wirklich?“ und „Welche sind im eigenen Garten sinnvoll?“ Wahrscheinlich werde ich nicht damit beginnen, eigenes Nachtkerzenöl herzustellen oder für zehn Wacholderbeeren, die ich im Jahr in der Küche verwende, einen eigenen Wacholder pflanzen, aber warum nicht einmal gezielt Kapuzinerkresse anbauen und das Immunsystem beim Salatessen unterstützen? Mir ist es wichtig, die Verwendung der Heilpflanzen im eigenen Leben zu verstärken. Das funktioniert am besten mit Pflanzen, die ich gut kenne und die in meiner Nähe wachsen.

Damit dies alles nicht nur eine Idee bleibt, beginne ich damit durch den Garten zu gehen und alle Heilpflanzen aufzuschreiben. Es ist beeindruckend wie vielfältig Heilpflanzen bereits jetzt im Garten wachsen. Echinacea und Fingerhut blühen im Staudenbeet, Holunder bildet mit den Schwarzen Johannisbeeren mein Obstbeet. Schafgarbe und Löwenzahn verwildern im Rasen. Der ganze Garten ist ein wilder Heilpflanzengarten!