Der Umzug ins Freiland
Bisher kenne ich meine Sommergäste ja nur durch die Werbebotschaften von zartschmelzend bis ertragreich. Mittlerweile sind seit der Aussaat meiner Fleischtomaten tatsächlich schon drei Monate vergangen. In dieser Zeit hatten alle fünf die gleichen Bedingungen. Die gleiche Erde, den gleichen Blick aus dem Südwest-Fenster und die gleiche Pflege.
Am letzten Wochenende habe ich sie allesamt in die Gartenfreiheit entlassen. Solange sie dicht an dicht auf dem Balkon standen, waren sie eher eine gemeinsame Gruppe aus grünen Blättern. Nun habe ich sie einzeln, jede für sich in der Hand und pflanze sie ein. Dabei wird deutlich, wie groß die Unterschiede zwischen den Pflanzen sind. Allesamt Fleischtomaten und dennoch sehr verschieden.
Zurück am Schreibtisch hole ich die Liste der Versprechungen hervor und vergleiche meine Sommergäste sowohl untereinander als auch gegenüber den Angaben der Verkäufer bzw. anderer Gartenblogs. Die Sämlinge haben sich gut entwickelt. Allerdings entspricht eigentlich keine Pflanze der Beschreibung. Glaube nur der Tomate, die Du selbst gesät hast!

Madame Marmande – Die Retterin der Bauern in der Reblaus-Krise anno 1863
Beschreibung:
Etwa 1,30 bis 2,00 Meter groß.
So sieht die Pflanze nach drei Monaten aus:
Zierlich. Fast schon kleinwüchsig wie eine Balkontomate. Hellgrüne Blätter.
Entweder Nährstoffmangel oder die Farbe gehört zur Sorte.
Rose de Berne – Fleischtomate oder roséfarbene Hochstaplerin?
Beschreibung:
Besonders breite, riesige Pflanze.
Etwa 1,80 Meter hoch oder auch über 2,50 Meter.
So sieht die Pflanze nach drei Monaten aus:
Zierlich. Fast schon kleinwüchsig wie eine Balkontomate. Hellgrüne Blätter.
Entweder Nährstoffmangel oder die Farbe gehört zur Sorte. Genau wie Marmande


Ochsenherztomate – Nur echt, wenn sie herzförmig ist
Beschreibung:
Bis 2 Meter hoch.
Welk wirkende, nach unten hängende und gedrehte Blätter.
So sieht die Pflanze nach drei Monaten aus:
Eine kräftige und hohe Pflanze.
Brandywine – Eine rote oder pinke Fleischtomate mit nebulöser Herkunft
Beschreibung:
Rote und Pinke sind zwei verschiedene Pflanzen. Die „echte“ ist pink und kartoffelblättrig.
Zu Höhe und Aussehen sonst keine Angaben.
So sieht die Pflanze nach drei Monaten aus:
Eine kräftige und hohe Pflanze.
Kartoffelblättrig.


Tschernij Prinz – Rotbraun und sibirisch
Beschreibung:
Meist nur 1,80 Meter hoch.
Dafür viele und kräftige Seitentriebe.
So sieht die Pflanze nach drei Monaten aus:
Eine kräftige und hohe Pflanze. Nicht mehr Seitentriebe als andere Tomaten.
Tomatenblüten So vielfältig wie die Früchte
In diesem Jahr bin ich besonders gespannt, auf die ersten Tomaten. Wann werden die sogenannten frühen Sorten reifen? Lohnt die Mühe für die Fleischtomaten? Sind die Sorten wirklich so unterschiedlich, wie sie angepriesen werden? Bis ich die Antworten auf diese Fragen bekomme, gehen noch zahlreiche Wochen ins Land. Aber auf halbem Wege zwischen Aussaat und Ernte liegt die Blüte. Und so beobachte ich die Blüten viel intensiver als sonst.
Bisher war ich einfach froh, dass die Tomaten blühen. Das war die erste Ankündigung der Ernte. Wenn es mir gelang, kräftige Pflanzen mit Blüten, recht früh im Jahr im Garten zu haben, dann war auch die Ernte nicht mehr weit.
Nun stelle ich fest, wie vielfältig die Blüten sind. Bisher hatte ich hauptsächlich Cocktail- und Salattomaten. Bei diesen Sorten sind die Blüten recht ähnlich. In diesem Jahr habe ich eine breite Auswahl vom zierlichen Sibirischen Birnchen bis zum wuchtigen Ochsenherz. Ebenso unterschiedlich sind auch die Blüten. Besonders Ochsenherz und Tschernij Prinz sind aus der Nähe wahre Monster. Wenn die Früchte genauso werden, dann hat sich der Aufwand gelohnt.


Ich wechsele mitten in der Saison drei Tomatenpflanzen aus
Wann immer ich nach Informationen zu einer Tomatensorte suche, finde ich Einträge wie „aromatisch“ oder „ertragreich“. Gelegentlich gibt es ein „krautfäuleanfällig“. Aber ein „schmeckt fade“ habe ich noch nie gelesen.
Seit Februar beobachte ich meine Auswahl an fünf verschiedenen Fleischtomaten. Alle schlagen sich recht wacker, obwohl sie weder mit einem Gewächshaus noch mit einem Unterstand verwöhnt werden. Von meinen fünf Sorten war Tschernij Prinz von Anfang an die kräftigste Pflanze. Nach dem Umzug ins Freiland wuchs sie nur noch langsam, setze aber recht früh Früchte an. Jetzt sind die ersten grünrotbraunen Früchte reif.
Die Früchte von Tschernij Prinz sind rotbraun. Bei mir haben sie im oberen Viertel noch grüne Streifen. Sie sind sehr weich und im Innern durchgehend rot. Der Geschmack ist enttäuschend. Das Fruchtfleisch ist fast schon zu weich und es schmeckt kaum nach Tomate. Nun gibt es Tomaten in sehr vielen Formen, Farben und auch Geschmacksrichtungen. Tschernij Prinz könnte also einfach ganz anders schmecken als meine Standardsorten Ruthje und Matina. Leider schmeckt Tschernij Prinz weder nach Tomate noch nach etwas anderem.
Was mache ich nun mit drei kräftigen Pflanzen, den ersten reifen und zahlreichen noch grünen Früchten? Es erscheint mir unsinnig, Pflanzen zu pflegen, deren Früchte mir nicht schmecken. Eine Tomatenpflanze aussäen, aufpäppeln und dann doch wieder aus dem Beet zu werfen, das erzürnt sicher die Tomatengöttin. Darf ich meine eigene Tomatenernte langweilig finden?
Andererseits, es hilft ja nichts. Wachsen lassen ist nicht besser als rausreißen. Je länger ich warte, desto mehr Tschernij Prinzen muss ich irgendwie loswerden. Außerdem ist mein bester Standort belegt, während in jeder nur irgendwie möglichen Ecke noch Ruthjes und Sibirische Birnchen im Topf stehen. Ich schnappe mir Eimer, Spaten, Schere, Tomatentöpfe und tausche aus. Tschernij Prinz geht. Ruthje und Sibirisches Birnchen dürfen die Plätze belegen.
Fünf Fleischtomaten berichten von ihrem Sommer
Es ist ein tomatenreicher Sommer. Auch ohne Gewächshaus ist es eine dauerhafte Ernte. Zusätzlich zu den großen Fleischtomaten habe ich einige Pflanzen Ruthje (Cocktailtomate) und Sibirisches Birnchen (Buschtomate). Egal wann ich in den Garten gehe, an einer der Pflanzen gibt es immer etwas zu ernten. Aber auch die sonst so oft divenhaften Fleischtomaten fruchten gut.
Jetzt ist die Zeit gekommen, die Werbebotschaften von zartschmelzend bis ertragreich mit den tatsächlichen Ergebnissen zu vergleichen.
Marmande – Die Retterin der Bauern in der Reblaus-Krise anno 1863
Seit ziemlich genau 1863 wächst sie in der französischen Region Nouvelle-Aquitaine. Damals wurde aus den U.S.A. kommend die Reblaus in diese Region eingeschleppt und die Winzer verloren große Teile ihrer Weinstöcke. Auf der Suche nach einer Alternative entschieden sich die Winzer für den Anbau von Tomaten.
Beschreibung
Die nach der Stadt Marmande benannte Tomate wird in allen Quellen als ertragreich beschrieben. Die Angaben zur Höhe schwanken zwischen niedrig (1,3 Meter) und normal (2 Meter). Für das Gewächshaus und die geschützte Kultur geeignet. Flachrunde Früchte. Anfällig für Blütenendfäule oder auch freilandtauglich.
So ist sie geworden:
Anfangs so zierlich und blass wie Rose de Berne wurde sie kräftig und dunkelgrün. Die Pflanze bleibt tatsächlich kleiner als andere Stabtomaten. Ich ernte nicht mehr als bei den anderen Fleischtomaten.
Fazit: Die Bauern mag sie gerettet haben. Bei mir wächst sie nur mühsam. Die Früchte sind durchaus lecker, aber keiner Weise besonders.


Rose de Berne – Aromatisch und gar keine Hochstaplerin!
Eine Tomate, so besonders wie eine Rose. Eine Tomaten-Rose aus der verschneiten Schweiz. Welch Wunderding muss das sein. So dachte ich, als ich den Namen zum ersten Mal las. Nach und nach enthüllte sich, dass es nicht um die Rose als Pflanze, sondern um die Farbe Rosa geht. Also eine roséfarbene Tomate.
Beschreibung:
Besonders breite, riesige Pflanze. Eher geringer Ertrag. Anfällig für Blütenendfäule. Später Erntebeginn. Dünne Haut. Platzanfällig. Rosarote Früchte. Aber ein hervorragender Geschmack.
So ist sie geworden:
Die Pflanzen sind von Höhe und Breite im Durchschnitt der Stabtomaten. Nach den ersten Wochen im Freiland war sie eher zierlich mit sehr hellen Blättern. In meinem Garten neigen fast alle Tomatensorten zu Blütenendfäule. Mit Dünger und reichlich Kalzium habe ich die Pflanzen aufgepäppelt. Die Ernte ist tatsächlich eher spät, aber durchaus reichlich. Die Haut ist dünn und rosa und platzt leicht. Der Geschmack ist wirklich hervorragend.
Fazit: Von meinen fünf Fleischtomaten ist sie die einzige, die an den süßen und fruchtigen Geschmack der Cocktailtomate Ruthje herankommt.


Ochsenherztomate – Nur echt, wenn sie herzförmig ist
Gerade weil der Name so berühmt ist, sprießen neuerdings die Ochsenherzen aus jedem Saatgutkatalog und selbst aus den Gemüseauslagen im Supermarkt. Das originale Ochsenherz hat eine sehr weiche Haut, ist also für den Handel völlig ungeeignet. Außerdem ist es wirklich herzförmig und nicht birnenförmig wie die modernen Nachbildungen à la Ochsenherz-Corazon F1.
Beschreibung & So ist sie geworden:
Ich brauche gar nicht aufteilen. Die Ochsenherztomate ist genau so geworden wie beschrieben. Bis 2 Meter hoch. Welk wirkende, nach unten hängende und gedrehte Blätter. Früchte rosa bis rot, herzförmig, gerippt und eine dünne, weiche Schale. Festes Fruchtfleisch. Wenig Saft und Kerne. Ernte bereits ab Ende Juli.
Fazit: Ochsenherz kommt auf die Liste für das nächste Jahr. Gute Ernte und guter Geschmack.


Brandywine – Eine rote oder pinke Fleischtomate mit nebulöser Herkunft
Die Herkunft ist wahlweise unklar oder schon ab 1885 in Saatgutkatalogen nachgewiesen. Es gibt eine „echte“ Brandywine. Und eine rote. Und eine pinke. Vielleicht sind die Rote und die Pinke identisch. Der Name Brandywine bezieht sich auf das Flüsschen Brandywine Creek an der Ostküste der USA.
Beschreibung
Die Früchte sind bis zu 300 Gramm schwer. ODER Die Tomaten sind so groß wie Hamburgerscheiben. ODER Die Tomaten sind bis zu 700 Gramm schwer. Die echte Brandywine ist ertragreich und widerstandsfähig.
So ist sie geworden:
Ich habe eine „echte Brandywine“. Die Früchte sind rosafarben und die Blätter kartoffelblättrig. Die Früchte sind groß und zerfurcht. Sie werden bei mir „nur“ 200 Gramm schwer. Aber die Beschreibung „so groß wie Hamburgerscheiben“ passt.
Fazit: Es sind in meiner Auswahl die größten Tomaten.Die Früchte sind durchaus lecker, aber nicht einzigartig.


Tschernij Prinz – Rotbraun und sibirisch
Der Name klingt russisch und die Tomate ist es auch. Als Herkunft wird die Stadt Irkutsk angegeben. Da ist kein „möglicherweise von Siedlern nach DaUndDort gebracht“: Kein „wahrscheinlich französischer Ursprung“. Das gefällt mir. Irkutsk liegt im Süden Sibiriens und auf dem gleichen Breitengrad wie Berlin. Die Farbe ist einmal etwas anderes als das Rosé, Rosa oder Pink der anderen Fleischtomaten unter meinen diesjährigen Sommergästen: Granatrot bis braunrot.
Beschreibung
Meist nur 1,80 Meter hoch. Dafür viele und kräftige Seitentriebe.
So ist sie geworden:
Eine kräftige und hohe Pflanze. Als erste meiner fünf Fleischtomaten hat sie reife Früchte. Die Früchte sind so wie beschrieben: Granatrot bis braunrot, flachrund mit dünner Schale.
Fazit: Eine kräftige Pflanze mit frühen und schönen Früchten. Der Geschmack ist allerdings sehr blass. Wenig Aroma aber auch wenig Säure. Nach der ersten Ernte ersetze ich die Pflanzen durch Ruthje.


Fazit
Alle Pflanzen entwickelten sich gut. Allerdings liegen die Beschreibungen und die tatsächlichen Pflanzen oft auseinander. Keine der Pflanzen ist so einzigartig, wie sie beschrieben wird. Es sind halt Tomatenpflanzen. So etwa 180 Zentimeter hoch und mal mehr oder mal weniger Seitentriebe. Marmande ist die kleinste. Tschernij Prinz wäre wahrscheinlich die ertragreichste gewesen – wenn ich sie gelassen hätte.
Für mich wird deutlich, dass die persönliche Erfahrung mit einer Pflanze viel wichtiger ist, als die Beschreibungen des Verkäufers. Ich habe mich in diesem Jahr auf rote Fleischtomaten beschränkt und selbst in dieser Untergruppe war die Auswahl riesig. Für den normalen Hausgarten ist es entscheidend, was dort mit den eigenen Gegebenheiten aus Standort, Wetter und persönlichem Einsatz möglich ist.
Im nächsten Jahr werde ich aus meiner Auswahl nur Ochsenherz und Rose de Berne anbauen. Außerdem mehr Matina (weil sie sehr früh ist) und reichlich Ruthje, die leckerste und saftigste Sorte, die ich bisher kennengelernt habe.
Viele der Infos kommen mir vertraut vor, ich glaub, ich hab sie schon in letztjährigen Einträgen gelesen.
Aber die gelben Tomatenpflanzrn vom Anfang könnten von heuer sein, jedenfalls bei mir. Ich trau mir die versprochenen gar nicht hergeben.
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Ich war selbst ganz überrascht, dass die Einzelbeiträge von 2020 sind. Ich dachte, es sei erst vor zwei Jahren gewesen. Ich habe die Einzeltexte zu zwei längeren Texten zusammengefasst und allerlei Wiederholungen rausgeworfen.
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