Anfangs war die Eibe in unserem Garten einfach nur da. Wir bekamen sie beim Hauskauf ungefragt mit dazu. Da stand sie nun: Dunkel, finster und zäh.
Erst nach und nach wurde mir klar, wie viel Eibe hier langsam und geduldig vor sich hin wächst. Eine Säuleneibe vor dem Haus und eine weitere etwas deplatziert mitten auf der Wiese. Aber vor allem der zwei Meter hohe Schutzwall zum Nachbargrundstück besteht aus zahllosen Eiben. Bei meinen alljährlichen Versuchen, die Hecke zu stutzen, fühle ich mich sehr an das Märchen Dornröschen erinnert. Die Mischung aus Eibe, wildem Holunder und den Kletterrosen der Nachbarn ist eine gelungene Nachpflanzung der im Märchen beschriebenen Hecke. Besonders, wenn ich diese Mischung jetzt noch die hundert Jahre des Dornröschenschlafes wachsen ließe.
Dunkel und ewig alt
Eibe wächst auch dann noch, wenn es allen anderen Baumarten zu dunkel ist. Ihr reicht das Licht aus, das im finstersten Wald den Boden erreicht. Zudem wächst sie sehr langsam. Man kann auch sagen, sie wartet ab. Hundert oder zweihundert Jahre sind für die Eibe wenig Zeit. Eiben werden sehr, sehr alt. Ewig alt sozusagen. Es ist umstritten, wie alt sie genau werden, ob es nun 500 oder 1000 Jahre sind oder gar noch mehr. Irgendwann sterben die Bäume rings um die Eibe herum an Altersschwäche. Im Schatten der „jungen“ Eiben kann aber keine andere Baumart mehr gedeihen. Im Laufe der Jahrhunderte erobert sich die Eibe auf diese Weise den Wald.
Die Eiben in unserem Garten können kaum älter als 70 Jahre sein. Damals wurde dieses Stadtviertel als Bauland erschlossen. Dennoch sehe ich meine Hecke jetzt mit anderen Augen. Sie wird mich auf jeden Fall überleben. Das, was heute mein Garten ist, veränderte sich in den letzten 100 Jahren so sehr, dass ich mir kaum vorstellen kann, wie es in weiteren 100 Jahren hier aussehen wird. Was soll dann erst in 500 Jahren hier wachsen? Ewiges Alter, das grenzt an Unsterblichkeit. Ob ein Hauch dieser Magie auf mich abfärbt, wenn ich ein paar Jahrzehnte meines Lebens mit einer Eibe teile?
Zäh
Eibenholz ist über Jahrhunderte hinweg der perfekte Baustoff für Speere und Bogen. Da ist sie wieder, die Kombination aus „Jahrhunderten“ und „Eibe“. Was mag die Eibe sich dabei denken, wenn alle paar Jahrzehnte einem neuen Menschen nichts Besseres einfällt als erneut einen Speer aus ihren Zweigen zu schnitzen? Im Vergleich mit der heutigen Schnelllebigkeit ist es unvorstellbar, dass eine Technologie über mehrere Jahrhunderte gleich bleibt. Viele Techniken der Neuzeit von Glühbirne bis CD-Spieler kommen und verschwinden wieder. Die Eibe wird dagegen schon zu Zeiten des Ötzi 3000 v. Chr. verwendet und vier Jahrtausende später, in der Schlacht von Hastings, sind Eibenbogen noch immer der Stand der Technik. Speere und Bogen aus Eibenholz sind elastisch und hart zugleich. Kein anderes Material aus dieser Zeit hat solche Eigenschaften. Der Bedarf an immer mehr Waffen hat die Eibe in Europa fast ausgerottet.
Einen Langbogen werde ich nicht bauen, aber dass die Eibe außerordentlich zäh ist, kann ich bestätigen. Selbst fingerdünne Zweige lassen sich mit einer normalen Gartenschere nicht durchtrennen. Nach zwei ruinierten Gartenscheren bearbeite ich Eibe nur noch mit der Astsäge.
Giftig
Alles an der Eibe ist giftig. Die einzige Ausnahme bilden die roten Hüllen der Früchte. Das Holz ist nur mäßig giftig. Das wäre sonst recht ärgerlich für die Bogenschützen, die zwar die Schlacht überstehen, sich aber an ihrer eigenen Waffe vergiften. Gefährlich sind vor allem die Nadeln. Doch selbst dabei geht es nicht um das versehentliche Essen von einigen Nadeln. Für Menschen und Pferde sind 100 Gramm Nadeln tödlich, Rinder und Ziegen vertragen etwas mehr.
Die Giftigkeit entsteht durch das Alkaloid Taxin. Alkaloid ist die Bezeichnung für eine Gruppe chemischer Substanzen. Die Substanzen aus dieser Gruppe verbindet, dass sie natürlich vorkommen, in ihrer chemischen Struktur ein Stickstoffatom enthalten und ziemlich giftig sind. Abgesehen von diesen drei Gemeinsamkeiten sind die Substanzen sehr unterschiedlich. Beispiele für Alkaloide sind Morphium, Koffein und Nikotin. In diese Gruppe reiht sich auch das Taxin der Eibe ein.
Von Paracelsus stammt die Erkenntnis, dass alle Dinge ein Gift sein können. Es liegt an der Dosis, ob etwas schädlich ist oder nicht. Mir erscheint diese Aussage lange als zu allumfassend. Doch selbst Leitungswasser oder Kochsalz sind in der entsprechenden Dosis tödlich. Zudem ist Paracelsus fast so alt wie eine Eibe und für seine Zeit war er extrem fortschrittlich. Es sei ihm daher verziehen, falls es doch irgendeine Substanz gibt, die kein Gift ist. Obwohl die Eibe also von Kopf bis Fuß giftig ist, wird seit einigen Jahren aus den Nadeln ein Medikament gegen Krebserkrankungen hergestellt. Die Zubereitung und die Dosis entscheiden darüber, ob die Eibe giftig oder hilfreich ist.
Hausbaum
Als junger Hausbesitzer überlege ich sofort, was denn unser Hausbaum werden soll. Die nach Höhe und Alphabet sortierten Listen von Acer platanoides (Spitzahorn) bis Tilia platyphyllos (Sommerlinde) helfen mir dabei nicht weiter. Die meisten Bäume sind mir unbekannt. Was ist etwa eine Kugelrobinie oder eine Blutpflaume? Weshalb soll ich eine mir völlig fremde Pflanze als Hausbaum auswählen? Aber ich sammele in jedem Herbst mit kindlich leuchtenden Augen Kastanien und trage sie in Jacken- und Hosentaschen mit mir herum. Also vielleicht eine Kastanie? Oder zu Ehren von Reinhard Mey ein Apfelbäumchen? Das sind meine Gedanken zum Thema Hausbaum. Es muss ein Baum sein, zu dem wir eine Beziehung haben und nicht irgendein Gehölz, das mit seiner Höhe und Breite halt noch so dazu passt.
Die Zeit vergeht. Irgendetwas anderes ist immer wichtiger. Zudem ist der Garten gut eingewachsen. Große Lücken für einen neuen Baum gibt es nicht. So verschwindet das Thema dann irgendwann von alleine. Wir pflanzen Johannisbeeren und Rhabarber, zahlreiche Stauden und bauen ein Hochbeet. Nur einen besonderen Baum, den pflanzen wir nicht. Mittlerweile ist mir klar, dass wir schon vor dem Einzug längst einen Hausbaum hatten. Unser Hausbaum ist die Eibe.
Der erste Hausbaum steht ganz passend vor der Haustür. Anfangs ist der Vorgarten eine traurige Mischung aus einigen kugeligen und breitästigen Koniferen, zwischen denen auch eine Eibe steht. Wir entfernen die Koniferen und füllen die freie Fläche mit Hortensien auf. Die Säuleneibe kommt nun viel besser zur Geltung und wächst Jahr für Jahr ein Stück höher hinaus. Es musste gar nichts Neues dazu kommen. Das Vorhandene war schon perfekt. Es war in all dem Gewucher nur nicht zu erkennen. Manchmal reicht es, aufzuräumen, damit die Dinge ihre Wirkung entfalten können.
Der zweite Hausbaum teilt sich die Krone mit einer Hainbuche. Im Sommer sieht es aus, als sei es ein einziger hoher Baum. Im Herbst zeigt sich, dass es insgesamt drei Bäume sind: Zwei Eiben und eine Hainbuche. Alle drei nutzen über viele Jahre hinweg die Gunst der Abgeschiedenheit der Gartenecke sowie das hohe Alter aller anliegenden Grundstückseigentümer und enteilen ihren jeweiligen Hecken nach oben. Mittlerweile sind die Grundstücke verkauft, die Häuser renoviert und neu bezogen, aber keiner der neuen Eigentümer mag die Bäume auf die Höhe der Hecke zurückschneiden. Zum Glück!
Von finstergiftig zu bewundernswert heilsam
Meine erste Begegnung mit der Eibe ist wenig von Begeisterung geprägt. Inzwischen sind allerlei Jahre vergangen und ich habe die Eibe schätzen gelernt. Botanisch gesehen gehören Thuja und Eibe beide zu den Koniferen. Das finde ich persönlich sehr bedauerlich. Denn welch ein Unterschied zwischen den üblichen Baumarktsichtschutzkoniferen in modernen Kiesgärten und einer Eibe.
Meine Eiben überraschen mich Jahr für Jahr neu:
– Die Eibe kann über Jahrzehnte geduldig warten bis ihre Zeit gekommen ist.
– Sie geht sparsam mit dem um, was sie zum Leben braucht (Licht) und ist dabei langlebiger, als unsere hektische Zeit sich das auch nur vorstellen kann.
– Eibenholz ist ein Naturmaterial, das es mit moderner Technik aufnehmen kann.
– Richtig bearbeitet und dosiert ist ihr Gift heilsam.
Ich mag die Eibe in meinem Garten nicht mehr missen. Anstatt mich über diese finsteren und giftigen Bäume zu ärgern, hege ich eher Bewunderung für ihre Eigenschaften.


Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Uhles Gartengedanken„
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Viel Spaß beim Lesen, Uhle im Garten
