Als ich zum ersten Mal an einer Landstraße anhalte, um mir diese blauen Blüten anzusehen, die mir täglich entgegenleuchten, bin ich enttäuscht. Statt einer wunderschönen Blume finde ich ein eher gakeliges Unkraut. Aber die Blüten leuchten so beharrlich und so zartblau vom Straßenrand auf mich ein, dass ich einige Zeit später dann erneut mit Handgrabegabel und Eimer ausgestattet anhalte, um ein Exemplar des blaublühenden Unkrauts in meinen Garten einzuladen. Die Pflanze hat allerdings eine tiefe Pfahlwurzel und es ist gar nicht so leicht, eine der so freundlich hellblau leuchtenden Wegwarten auszugraben. Weder an einer der idyllischen Landstraßen noch an anderer Stelle. Ich probiere es immer mal wieder, bis es mir gelingt, mehrere Exemplare von verschiedenen Landstraßen und städtischen Grünstreifen in meinem Garten willkommen zu heißen.
Im Gespräch mit Kollegen und Freunden stelle ich immer wieder fest, dass viele die blauen Blüten an den Landstraßen ebenfalls schön finden, aber kaum jemand weiß, wie die Pflanze heißt. Daher möchte ich diese weitgehend namenlose blaue Landstraßenblume bekannt machen: Die blaue Landstraßenblume heißt Wegwarte (Cichorium intybus). Sie ist botanisch verwandt mit dem Chicorée-Salat (Cichorium intybus var. Foliosum). Außerdem werden die Wurzeln als Kaffeeersatz (Zichorien-Kaffee) verwendet. Ich kenne keine Gärtnerei, die Wegwarten im Angebot hat. Daher bleibt nur das Ausgraben einer Pflanze übrig, wenn sie vom Straßenrand in eigenen Garten übersiedeln soll.
Der Mythologie nach ist die Wegwarte eine verzauberte Prinzessin, die auf die Heimkehr ihres Prinzen wartet. Gelegentlich findet sich auch der Hinweis auf die „blaue Blume der Romantik“. Doch den Schriftstellern in der Epoche der Romantik ging es um die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren und nicht um eine konkrete Pflanze mit botanischem Namen.


Zweijährig und höher als am Straßenrand
Wegwarten sind zweijährig. Sie blühen erst im Jahr nach der Aussaat und säen sich dann von Jahr zu Jahr neu aus. Aber auch aus den Wurzeln der vorjährigen Pflanzen treiben neue Triebe und Blüten. Einmal im Garten angesiedelt, vermehrt sie sich dort ohne Zögern und verbreitet sich eher zu sehr als zu wenig. Ich mag das helle, zarte Blau der Wegwarte und der Name, das „Warten entlang des Weges“ hat etwas Lyrisches, aber ihrem Ausbreitungsdrang muss ich dennoch Grenzen setzen.
Im Frühjahr sehen die jungen Pflanzen dem Löwenzahn (Taraxacum sect. Ruderalia) sehr ähnlich. Beide Pflanzen gehören zur Familie der Korbblütler und dort zur Unterfamilie der Cichorioideae. Die jungen Blätter sind sehr ähnlich gezackt, aber die Blätter der Wegwarte sind auf der Rückseite behaart. Um beide zu unterscheiden, ist es am einfachsten, etwas Zeit vergehen zu lassen. Nach ein paar Wochen sehen die Wegwarten dann überhauptgarnicht mehr wie Löwenzahn aus. Sie gleichen einer Horde „Halbstarker“, die am liebsten lautstark durch den Garten ziehen würde – wenn sie nicht festgewachsen wären.
Am Straßenrand werden Wegwarten etwa 30 bis 50 Zentimeter hoch. Das liegt jedoch nicht daran, dass die Pflanzen von sich aus klein bleiben, sondern daran, dass die Straßenränder regelmäßig gemäht werden und die Pflanze immer wieder von Neuem anfangen muss zu wachsen. Irgendwo habe ich gelesen, die Wegwarte brauche das Salz des Winterdienstes, um zu wachsen, aber das kann ich nicht bestätigen. Ich streue zumindest kein Salz in meinem Garten. Ich glaube eher, Wegwarten sind so anpassungsfähig, dass sie trotz Wintersalz und Autoabgasen am Straßenrand gedeihen können. Das schließe ich auch daraus, dass Wegwarten mit guter Gartenerde plötzlich bis fast zwei Meter in die Höhe schießen. Ich nutze sie daher als Sichtschutz vor den Regentonnen.
Saatgut sammeln & Pflanzen vorziehen
Mittlerweile sind die Wegwarten in meinem Garten heimisch geworden. Da ich noch immer keine Quelle für Saatgut kenne, überlege ich, es selbst zu produzieren. Die Idee ist, sowohl vorgezogene Pflanzen als auch Saatgut anzubieten.
Für das Saatgut sammele ich im ersten Versuch die verblühten Blüten, lasse sie trocknen und pule dann jedes einzelne Körnchen heraus. Das ist mühsam und zeitaufwändig, aber leider nicht erfolgreich. Ich ärgere mich anfangs über die vergebliche Mühe – bis mir klar wird, dass dieser Mangel mir zukünftig viel Arbeit erspart. Ich verwende nun direkt die getrockneten Blüten als Saatgut. Das funktioniert gut und es ist gar nicht nötig, einzelne Körner zu herauszupulen.
Um zusätzlich zum Saatgut auch Pflanzen verkaufen zu können, müsste ich wissen, welche der Pflanzen zweijährig ist und blühen wird. Die Wegwarten verbreiten sich in meinem Garten von alleine. Das werden sie auch weiterhin tun. Eine spezielle Ecke nur für zweijährige Pflanzen zu reservieren, ist somit illusorisch. Damit ich sagen kann, was eine einjährige und was eine zweijährige Pflanze ist, muss ich die Pflanzen voneinander trennen. Es bleibt keine andere Lösung als die Wegwarten in Töpfen vorzuziehen, obwohl sie gleichzeitig überall im Garten wachsen.
Beim Vorziehen in Töpfen freue ich mich schon auf die Kommentare von Freunden und Nachbarn: „Was, du züchtest jetzt auch noch Unkraut?“. Ich werde also gleich ein paar Päckchen Getreidekaffee bereit halten und an die Lästerer verschenken „Ja, ich züchte Unkraut, aber du trinkst es ja sogar!“
Die Aufzucht der Wegwarten gelingt insgesamt sehr leicht. Wem das Ausbuddeln der ersten Pflanze zu mühsam ist, der kann stattdessen verblühte Blüten sammeln, trocknen lassen und in Töpfe mit Blumenerde stecken. Die Töpfe können im Winter draußen bleiben. Im zweiten Jahr brauchen die Pflanzen entweder einen richtig großen Topf oder einen Platz im Garten.
Heute ernte ich Getreidekaffee
Bei den ersten Sonnenstrahlen des neuen Frühlings fange ich an, die Dinge zu Ende zu bringen, die ich im Herbst nicht geschafft habe. Eine dieser Aufgaben ist es die Wegwarten zu roden. Im Winter sterben die oberirdischen Pflanzenteile ab. Dennoch bleiben die Stängel stabil genug, dass sie nun als widerspenstiges Gerippe vor den Regentonnen stehen und aktiv entfernt werden müssen. Wenn der Boden feucht genug ist, lassen sich die Pflanzen als Ganzes mit vorsichtiger Gewalt herausziehen.
Ich bin erstaunt, wie lang und dick die Wurzeln sind, die ich eine nach der anderen aus dem Boden zerre. Es kommt eine beachtliche Menge an Wurzeln zusammen. Die Wurzeln der Wegwarte sind zusammen mit Gerste die Hauptbestandteile von Getreidekaffee. Der typische Erntezeitpunkt für Wurzeln ist der späte Herbst. Ich bringe hier quasi etwas verspätet die Kaffeeernte ein.
Auf Garten- und Heilpflanzenseiten des Internets wird die Wegwarte als bedeutende Nutz- und Heilpflanze gelobt. Abgesehen vom Getreidekaffee kann ich für die Wegwarte jedoch keine Verwendung als Nutzpflanze im Sinne von gezieltem Anbau finden. Auch zur Wegwarte als Heilpflanze gibt es nur wenige wirklich konkrete Hinweise. Die Blätter sind essbar, aber bitter. Man kann sie in Wildkräutersalate mischen. Alle essbaren Pflanzen mit Bitterstoffen regen die Verdauung an. Dies gilt auch für die Wegwarte.
Inulin und Insulin: Zwei völlig verschiedene Substanzen!
Die Wurzeln von Wegwarten enthalten sehr viel Inulin. Was diese Aussage konkret bedeutet, ob man die Wurzeln essen kann oder gar soll, habe ich nirgends gefunden. Leider lese ich jedoch immer wieder, dass Inulin für Diabetiker gut ist, weil es so etwas Ähnliches wie Insulin sei oder gar Insulin ersetze. Daher eine wichtige Anmerkung von mir als Chemiker: Inulin und Insulin sind zwei völlig verschiedene Substanzen!
Das Inulin der Wegwarte ist ein spezieller Zucker, ein sogenanntes Polysaccharid. „Zucker“ ist chemisch gesehen ein Sammelbegriff für eine große Gruppe von Substanzen. So ähnlich wie PKW alles vom Miniauto bis zum Sportwagen sein kann. Inulin enthält keinen Traubenzucker ( = Glucose). Es wird im menschlichen Körper daher anders verarbeitet und dies kann bei Problemen mit dem Zuckerstoffwechsel (z. B. Diabetes) eine Hilfe sein. Der Name Inulin leitet sich vom lateinischen Namen der Pflanze Alant ab (Inula helenium). In der Wurzel des Alants wurde das Inulin zuerst nachgewiesen.
Das Insulin der Bauchspeicheldrüse ist ein Hormon. Es wird gebraucht, um Zucker im Körper zu verarbeiten. Insulin wird innerhalb der Bauchspeicheldrüse in den Langerhans-Inseln erzeugt. Der Name für Insulin leitet sich vom lateinischen Wort für Insel ab (Insula). Die Ähnlichkeit der Namen (Inulin und Insulin) bedeutet nicht, dass man das eine durch das andere ersetzen könnte!
Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch Uhles Gartengedanken
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Viel Spaß beim Lesen, Uhle im Garten

Ich habe ja schon von deinen Samen-Sammelversuchen profitiert, als du damals drei Wegwarte-Pflanzen an mich verschickt hast.
Zwei von den Pflanzen sind durchgekommen, die dritte habe ich damals als Löwenzahn gedeutet.
Eine der Pflanzen wächst und gedeiht im Blumenbeet, die zweite ist an einem Sorgenplatz angesiedelt, aber auch sie ist dieses Jahr – verspätet – wieder aufgetaucht.
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Der Anfang mit Wegwarten ist oft schwierig. Aber wenn sie sich einmal angesiedelt haben, bleiben fester Bestandteil des Gartens. Anfangs war ich auch in Sorge, aber inzwischen sind sie so zahlreich, dass ich beginne sie zu begrenzen.
Wenn sie noch jung sind, sehen sie dem Löwenzahn zum Verwechseln ähnlich, das stimmt. Wegwarte und Löwenzahn lassen sich auf der Blattunterseite unterscheiden. Löwenzahn ist glatt und Wegwarten haben feine Haare.
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