Jeder, der Giersch loswerden will, beginnt ganz automatisch, sich intensiv mit ihm zu beschäftigen. Wäre der Giersch irgendein beliebiges Kraut, das hier und dort im Garten erscheint, aber sonst keine Mühe verursacht, käme wohl kaum ein Gärtner auf die Idee, sich näher mit ihm zu beschäftigen. Doch kaum ist das Gemüsebeet gejätet, sprießt der Giersch erneut. Wie sollen sich die zarten Mangoldsetzlinge gegen diese Übermacht erwehren? Bis der Spinat auch nur gekeimt ist, ist die Erde so mit frischen Gierschblättern überzogen, dass er nicht mehr zu finden ist. Auf diese Weise drängt sich der Giersch unablässig ins Bewusstsein des Gärtners. Wenn schon nicht aus Begeisterung für neue Ideen, dann zumindest aus Verzweiflung (Was soll ich denn mit dem Zeugs bloß machen?), sucht der Gärtner nach jeder nur möglichen Verwendung dieses Immergrüns.
Was also lässt sich mit Giersch anfangen? Im Laufe der Jahre sammele ich Erfahrungen mit der Verwendung von Giersch in den Bereichen Heil- und Nutzpflanze.
Giersch – Eine Heilpflanze?
„Der Giersch als Heilpflanze? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?“ So oder so ähnlich höre ich schon die Reaktion der Leser. Andere mögen vielleicht – deutlich vorsichtiger, damit die Nachbarn es nicht hören – sagen, „Ach schön, dass einmal jemand eine Lanze für dieses übel gescholtene Kraut bricht“. Ich selbst stehe zwischen beiden Gruppen und kann die eine wie die andere verstehen. Gerne wäre ich wenigstens 80 % des Gierschs in meinem Garten los und ich würde es wahrlich nicht vermissen, wenn ich die Gemüsebeete nicht monatlich entgierschen müsste. Aber wenn es für den Giersch eine sinnvolle oder gar heilende Verwendung gibt, lasse ich mich gerne auf die verbleibenden 20 % ein.
Ich lese immer wieder dass nach der Signaturenlehre der lateinische Namen des Gierschs, Aegopodium podagraria ( = Ziege und Füßchen), auf die Behandlung von Gicht hinweist. Was also hat es mit der Signaturenlehre und dem Giersch auf sich?
Die Signaturenlehre wurde durch den Arzt und Alchemisten Paracelsus (1493–1541) schriftlich formuliert. Die Inhalte sind sicherlich deutlich älter. Die Angaben, die ich dazu finden konnte, sind alle recht vage und nutzen Formulierungen wie „bereits im Altertum“ ohne dabei konkrete Jahrhunderte, Orte oder Namen zu nennen. Andere Quellen benennen Paracelsus sogar als Erfinder der Signaturenlehre.
[Mit Altertum ist ein nur grob definierter Abschnitt der Geschichte gemeint. Je nach Quelle beginnt das Altertum zwischen 3000 und 1000 vor Christus. Es endet mit dem Zerfall des Römischen Reiches um 500 nach Christus.]
Die vereinfachte Idee der Signaturenlehre ist, dass Dinge oder Wesen, die gleich aussehen oder andere gleiche Eigenschaften wie Farbe oder Geruch haben, in einer Beziehung zueinanderstehen. Ein anschauliches Beispiel ist die Walnuss, deren Aussehen eine Ähnlichkeit mit dem menschlichen Gehirn hat und die tatsächlich Substanzen enthält, die für das Gehirn hilfreich sind. Zu einer Zeit, als viele der heute selbstverständlichen Erkenntnisse der Naturwissenschaften noch unbekannt sind, war die Signaturenlehre ein Ansatz die Welt um uns herum zu verstehen und Erkenntnisse für den Alltag daraus abzuleiten.
„Die alten Römer“( = Circa 750 vor Christus bis 500 nach Christus) sollen bereits 1000 Jahre vor Paracelsus Giersch angebaut haben, um ihn im Falle eines Gichtanfalls griffbereit zu haben. Die Signaturenlehre muss daher entweder deutlich älter sein als Paracelsus oder die Römer hatten ein eigenes Wissen über den Giersch. Aus den mir zugänglichen Quellen wird nicht klar, ob die Römer tatsächlich Giersch gegen Gicht verwendeten.
Doch was ist nun mit dem Giersch und der Gicht? Stark vereinfach geht es bei Gicht um zu viel Harnsäure im Blut. Harnsäure ist ein natürlicher Bestandteil des menschlichen Stoffwechsels. Wenn jedoch zu viel davon vorhanden ist, dann bildet die Harnsäure Kristalle, die sich in den Gelenken ablagern und Schmerzen verursachen. Bei aller Wichtigkeit der genauen medizinischen Details lässt sich das Krankheitsbild Gicht mit den wenigen Worten zusammenfassen: Iss weniger Fett und trinke viel Wasser.
Abgesehen von hochgiftigen Pflanzen wie dem Fingerhut oder dem Blauen Eisenhut ist eine sofortige Wirkung bei Pflanzen etwas Untypisches. Die Wirkung des Gierschs mag sich über Wochen und Monate bemerkbar machen. Eine sofortige Wirkung passt eher zum Kortisonspray beim Asthmaanfall als zum Wildkräutersalat.
Was die Wirkung des Gierschs als Heilpflanze angeht, so konnte ich zwar viele allgemeine Aussagen finden, aber im Gegensatz zu anderen Heilpflanzen fehlen beim Giersch dafür naturwissenschaftliche Belege. Der Hinweis auf die Römer und deren Anbau von Giersch reicht mir als Nachweis nicht aus.


Giersch aufessen
Giersch ist unausrottbar. Sobald man das eingesehen hat, kann man überlegen, wie man mit ihm umgeht. Bei Jürgen Dahl entdecke ich den Gedanken, dass es sich bei Giersch um ein anspruchsloses Dauergemüse handelt. Kein anderes Gemüse ist so dauerhaft verfügbar und benötigt so wenig Pflege. Aus diesem Blickwinkel ist es unverständlich, dass der Giersch einen so schlechten Ruf hat.
Aber spricht da wirklich die Überzeugung, dass Giersch richtig toll schmeckt? Ich bin mir nicht sicher. Vermutlich wird auch ein Stück Resignation darin stecken. Wenn ich den Giersch schon nicht loswerde, dann kann ich ihn ebensogut auch aufessen. Also Unkraut und Gemüse in einer Pflanze?
Pesto
Meine erste Idee zum Thema „Giersch aufessen“ ist Pesto. Pesto lässt sich leicht herstellen und wenn ich bei Pesto alla Genovese das Basilikum durch Giersch ersetze, habe ich ein leckeres Produkt, das sich sogar verkaufen lässt. So stelle ich mir das jedenfalls vor. Bei den ersten Versuchen der Pesto-Herstellung wird mir klar, dass Pinienkerne, Parmesan und gutes Öl sehr teuer sind. Außerdem ist es längst nicht so einfach wie gedacht, die gesamte Mischung fein zu pürieren. Die ersten Experimente schmecken eher so „naja“. Ich schnippele Gierschblätter, hobele Parmesan und der grüne Brei wird immer mehr, aber nicht feiner und auch nicht schmackhafter. Je größer die Menge ist, desto sämiger wird das Ergebnis. Aber für die ersten Tests gleich mit einem halben Liter Öl anfangen? Nach dem dritten Versuch wird mir klar, dass ich einem Wunschtraum nachjage. Das pittoreske Bild aus selbst angebauten Produkten und italienischem Flair führt mich in die Irre. Die harte Wirklichkeit ist, dass ich weder Parmesan noch Olivenöl anbaue und auch der Giersch ist eher eine Plage, als dass ich ihn im Beet hege und pflege. Aber was vielleicht noch schlimmer ist: Ich esse zu selten Pesto. Mir fehlt die Erfahrung mit diesem Produkt und ich werde sie auch nicht in kurzer Zeit sammeln, weil mir Spaghetti mit Pesto viel zu fettig sind und ich den Geschmack von Olivenöl überhauptkeinbisschen ertrage. Daher warten die einzigen zwei jemals produzierten Gläser Gierschpesto noch heute noch auf einen Abnehmer. Gärtner mit mehr Erfahrung und Vorliebe für Pesto werden damit sicher mehr Erfolg haben.
Wildkräutersalat
Salat ist sicher die einfachste Methode, Giersch loszuwerden. Dabei wird in den Rezepten immer wieder auf die jungen Blätter hingewiesen. Das ist ein ähnlich romantisches Trugbild wie mein Pesto. Ich bin nicht sicher, ob die Autoren der Rezepte diese Salate auch essen. Junge Blätter vom Giersch gibt es für kurze Zeit im April. Zu dieser Zeit gibt es auch bereits andere Wildkräuter. Es bietet sich an, aus den verschiedenen Wilden und den ersten Frühbeetsalaten, eine wöchentlich wechselnde Mischung herzustellen.
Die Zeit der jungen Gierschblätter ist leider schnell vorbei. Danach wächst der Giersch jedoch begierig weiter und ich verfüge über eine gut gefüllte Plantage: Bis zu 40 Zentimeter hohe Gierschpflanzen mit großen und störrischen Blättern. Auch die großen Blätter lassen sich als Salat essen, aber der Giersch ist dann doch eher eine Beigabe als der Hauptbestandteil. Wenn das Aufessen eine ernstgemeinte Alternative sein soll, dann brauche ich eine Verwendung für große, harte Blätter. Außerdem geht es eher um Mengen im Kilogrammbereich als um einige Blätter, die sich im Salat verstecken lassen.

Natürlich kann ich eine ganze Schüssel Vogelmiere um junge Gierschblätter ergänzen. Die Frage ist allerdings, will ich wirklich eine ganze Schüssel Vogelmiere essen, nur damit ich eine Verwendung für fünf bis acht Blätter Giersch habe?
Suppe
Dank Internet lassen sich eine Reihe von weiteren Verwendungen für den Giersch finden. Als nächstes versuche ich mich an einer Kartoffel-Giersch-Brennnessel-Suppe. Ich pflücke und schnippele nach Gefühl und der Größe des Topfes. Aber zusätzlich wiege ich auch noch alles ab, damit ich es wiederholen kann – falls es lecker wird.
Die Zutaten:
Zwei kleine Zwiebeln, Öl, je 100 Gramm Giersch und Brennnessel, 250 Gramm Kartoffeln, 750 ml Wasser, 1 Würfel Bio-Gemüsebrühe
Die Zubereitung:
– Eine Schüssel Giersch und Brennnessel pflücken und waschen.
– Die Zwiebeln klein schneiden und mit etwas Öl andünsten. Nach und nach den Giersch hinzufügen und mit andünsten. Der Giersch ist recht störrisch. Man braucht daher einen entsprechend großen Topf.
– Als Alternative werden die Zwiebeln alleine angedünstet und man fügt anschließend Giersch, Kartoffeln und Wasser hinzu, damit die Kartoffeln den Giersch etwas zusammendrücken.
– Die Mischung so lange köcheln, bis die Kartoffeln gar sind. Große Gierschblätter kochen mindestens so lange wie Kartoffeln.
Wenn Giersch und Kartoffeln gar sind, alles pürieren.
Wie wird das Ergebnis schmecken? Irgendwie grün, also eher grasartig? Ich bin angenehm überrascht. Die Suppe schmeckt nach Spinat und Karotten. Leider ist zu viel Wasser in der Mischung, so dass die Suppe etwas „flach“ schmeckt. Es fehlt an Substanz oder wie auch immer das küchentechnisch ausgedrückt wird. Ich hatte so wenig Wasser wie möglich hinzugefügt, aber selbst dies war wohl zu viel. Es ist sinnvoll, die Gierschblätter vor dem Kochen zu zerkleinern. Oder man muss separat gekochte Kartoffeln beim Pürieren dazugeben. Ich entscheide mich dafür, Schafskäse in die Suppe zu bröseln. Damit wird es ein schmackhaftes Mittagessen. Für den ersten Versuch ist die Suppe ganz gut. Eindeutig besser als Pesto. Auf dem Weg zur Alltagssuppe muss das Rezept noch verbessert werden.
Giersch als Gemüse
Wenn Giersch sich als Gemüse nutzen ließe, wäre das eine verlässliche Quelle für frisches Grün. Ich wandele versuchsweise ein gerne verwendetes Gemüsegericht (Wirsing-Nudeln mit Hackfleisch) für Giersch ab.
Ich pflücke eine übervolle Schüssel Gierschblätter. Nach dem Putzen sieht der Berg schon viel kleiner aus. Um ein besseres Gefühl für die Mengen zu bekommen, wiege ich alles ab.
Mein Rezept für Wirsing-Giersch-Gemüse (für 2 Personen):
– 150 Gramm Gierschblätter in reichlich Brühe kochen.
– Nach 5 Minuten 300 Gramm kleingeschnittenen Wirsing und 200 Gramm Nudeln zugeben.
– In einer möglichst großen Pfanne 200 Gramm Hackfleisch anbraten.
– Sobald die Nudeln gar sind, das Gemisch aus Gemüse und Nudel abgießen und zum Hackfleisch in die Pfanne geben.

Gierschblätter werden zart, wenn man sie lange genug kocht. Sie behalten dabei ihren aromatischen Geschmack nach Karotten. Da die Gierschblätter dazu neigen, aneinanderzukleben, ist es sinnvoll, sie mit dem Wirsing zu vermischen und reichlich Flüssigkeit zu verwenden.
Fazit
– Pesto muss man selbst sehr mögen oder einen Marktstand haben, um größere Mengen davon produzieren und verkaufen zu können.
– Salat geht immer, ist aber nach den ersten Frühlingsblättern nicht jedermanns Sache.
– Suppe ist etwas mühsam in der Herstellung.
– Gemüse ist eine realistische Verwendung für größere Mengen an Blättern.
Wenn aufessen nicht ausreicht: Auf den Kompost damit!
Wenn ich die Gemüsebeete nutzen möchte, muss ich den Giersch zumindest regelmäßig jäten. Ich frage mich, ob es, außer jäten nicht noch andere Möglichkeiten gibt. Mittlerweile beobachte ich den Giersch seit über fünf Jahren. Dabei habe zwei Dinge entdecket, die der Giersch nicht mag: Trockenheit und Blattverlust.
Bei der Verwendung von Giersch als Kompost konzentriere ich mich bewusst auf die Blätter. Dabei bleiben die Wurzeln zwar im Boden, aber auch der Giersch braucht Blätter und Sonnenlicht zum Leben. Durch das großflächige Entfernen der Blätter lässt sich der Giersch im Zaum halten.
Seit einigen Jahren versuche ich mich mehr schlecht als recht an der Kompostherstellung. Alles, was mir geeignet scheint, kommt auf meinen eigenen Kompost. Dort bleibt es dann ohne besondere Schichtung oder regelmäßiges Umsetzen, so lange bis es verrottet ist. Ich gebe zu, dass ich das Kompostieren sehr laienhaft durchführe. Was ich jedoch weiß, ist, dass die Bestandteile nicht zu feucht und nicht zu trocken sein dürfen. In den letzten Jahren hatte ich immer zu viel an feuchtem Rasenschnitt. Ich hätte ihn gerne selbst kompostiert, musste ihn dann aber wegbringen, weil ich einfach bergweise davon hatte.
Um den Giersch in größeren Mengen für den eigenen Kompost nutzen zu können, starte ich ein Experiment. Ich schneide die Hainbuchenhecke, verteile den Heckenschnitt auf meiner „Gierschwiese“ und lasse ihn dort einige Tage liegen, damit das Laub dürr und trocken wird. Alles zusammen zerkleinere ich dann mit dem Rasenmäher. Das Ergebnis ist eine luftige Mischung aus trockener Hainbuche und feuchtem Giersch. Perfekt für den Komposthaufen!


Und nun?
Noch immer möchte ich weniger Giersch im Garten haben. Durch die intensive Beschäftigung mit ihm ist die anfängliche Feindschaft jedoch etwas gewichen. Einen therapeutischen Nutzen als Heilpflanze sehe ich zwar nicht, aber ich werde den Giersch als gelegentliche Salatbeigabe sowie als Gemüse nutzen. Er ist im eigenen Garten immer frisch und allein schon deshalb vitamin- und nährstoffhaltiger als gekauftes Gemüse. Er bekommt in meinem Garten einen Platz, an dem auch er sein darf.
Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch Uhles Gartengedanken
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Vom ersten Schneeglöckchen bis zu den Raunächten, alles handlich zwischen zwei Buchdeckeln.
– Zum eigene Gedanken an den Rand kritzeln
– Für Eselsohren als „Das will ich auch mal ausprobieren“-Erinnerungen
– Oder einfach zum Genießen
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Viel Spaß beim Lesen, Uhle im Garten

Oh Gott, ich sehe mich, als ich noch Giersch im Garten hatte, im Alten Gemüsegarten. Nur dummerweise hat er uns in egal welcher Variante einfach nicht geschmeckt.
Glücklicherweise haben wir dann mal den Schlechtwetterauslauf der Pferde vergrößert. Und den Giersch dabei einfach zugeschüttet. Seitdem isser wech. Zum Glück.
In den neuen Gemüsebeeten habe ich dafür zum Teil Quecke. Irgendwas ist immer.
Gruß
Llewella
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Ja, das stimmt „irgendwas ist immer“. Trotzdem beneide ich Dich um verschwundenen Giersch.
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